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sönlichkeit, in welcher das moralische Gesetz mir ein von Tierheit und selbst /
von der ganzen Sinnenwelt unabhängiges Leben offenbart. . .“
1
Die Kantische Sittenlehre ist f o r m a l , nicht inhaltlich, nicht „material“, sie
ist zugleich r a t i o n a l i s t i s c h , weil ihr das Sittliche als vernunftbestimmt
gilt.
δ.
Gotteslehre
Eine eigene Gotteslehre gibt es bei Kant nicht. Sie wird im Rahmen der Ver-
nunftlehre, der theoretischen wie praktischen, abgehandelt
2
. Das Dasein Gottes
kann theoretisch nicht bewiesen werden, aber es ist ein „Postulat der praktischen
Vernunft“. Das Sittengesetz, sagt Kant, fordert das Dasein Gottes, denn
die Übereinstimmung der sittlichen und natürlichen Welt (die in der Glückseligkeit
ihren Ausdruck findet) ist notwendige Bedingung der Sittlichkeit
3
. Das Sitten-
gesetz gebietet durch reine Vernunftgründe, also durch Gründe, die von der Natur
unabhängig sind. Darum muß das Dasein einer obersten Ursache, welche sowohl
über die Natur wie über die Vernunft gebietet und die Zusammenstimmung bei-
der verbürgt, postuliert werden. Die Folgerung von dem Bedingten (dem reinen
Willen) auf das Bedingende (Gott) ist deswegen erlaubt, weil das Bedingte a pri-
ori, also schlechthin notwendig ist.
Für Kant ist Gott nicht Gegenstand des Wissens, sondern des sittlichen Ver-
nunftglaubens. Das Wesen dieses Gottesbeweises — so muß man ihn trotz Kant
nennen — ist: daß der Widerspruch zwischen Sollen (sittlichem, vernunftbestimm-
tem Willen) und Sein (Natur) nur durch eine absolute Ursache, Gott, auszuglei-
chen ist
4
.
ε. Seinslehre und Naturphilosophie
gibt es bei Kant ebenfalls als solche nicht. Sein (Realität) ist bloß eine Denkform,
Kategorie. Der übersinnliche Grund des Seins, das „Ding an sich“ ist unerkenn-
bar; die von uns vorgestellte und erkannte Welt ist Erscheinung. Damit ist eine
Naturphilosophie nur insofern gegeben, als Kant in der „Kritik der Urteilskraft“
die Möglichkeit erörtert, die Natur so zu betrachten, „ a l s ob“ in ihr Zweck
und Verstand wäre. Das ergibt die T e l e o l o g i e als „regulatives Prinzip“ der
N aturbetrachtung
5
.
ζ. Gesellschaftslehre
6
η.
Kunstphilosophie
Die Schönheit wurde von Kant zum ersten Male seit langem wieder in ihrer
Unbedingtheit begriffen. Die Schönheit ist ihm nicht durch Lust und Begierde
bezeichnet, sondern schön ist „was uninteressiert gefällt“. Auch das Schöne ist
apriorisch gegründet, hat Notwendigkeit und Allgemeinheit an sich. Die grund-
1
Immanuel Kant: Kritik der praktischen Vernunft, Sämtliche Werke, Teil 8,
Leipzig 1838, Schluß.
2
Siehe oben S. 89 f.
3
Immanuel Kant: Kritik der praktischen Vernunft, S. 223.
4
Uber das „Radikalböse“ siehe unten
S. 158.
5
Siehe unten S. 105 f. und 109 f.
6
Siehe oben S. 90, unten S. 109 ff.