[
87
/
88
]
97
2. J o h a n n F r i e d r i c h H e r b a r t (1776—1841)
Nicht auf eine Darstellung dieses, in verworrenen Übergangs-
zeiten einst so wirkungsvollen Systems ist es hier abgesehen
1
.
Lediglich einige Hinweise auf die Vermischung der Standpunkte
sind hier am Orte.
K a n t i s c h ist an Herbart, der wie durch eine Ironie des Schicksals zum
Nachfolger Kantens in Königsberg berufen wurde, die Lehre, daß alles in Raum
und Zeit Gegebene Erscheinung („objektiver Schein“) sei; ferner die Lehre von
den Widersprüchen (Antinomien usw.) in den Begriffen und der Notwendigkeit
ihrer Wegschaffung durch die Philosophie; zum Teil die Lehre von der Apper-
zeption, und anderes. L e i b n i z i s c h ist Herbarts metaphysische Annahme
monadischer „Realen“. E m p i r i s t i s c h , und zwar in jenem naturwissen-
schaftlichen Gewande, das der Zeit gefiel, ist unter anderem seine mathematisie-
rende Lehre von einem angeblichen Vorstellungsmechanismus, ferner seine Lehre
von der (mechanischen) „Selbsterhaltung“ der „Realen“, deren „Störung“ und
„Hemmung“ sogar die Quelle des Bewußtseins bilden soll; ebenso sein Psycho-
logismus in der Erziehungs- und Gesellschaftslehre. — Trotzdem gingen von Her-
bart befruchtende Wirkungen auf die Geisteswissenschaften aus und bildeten
lange ein Gegengewicht gegen den zerstörenden Einfluß Schopenhauers. — Fast
wie Hegels Schule in Preußen genoß Herbarts Schule in Österreich eine Zeitlang
staatliche Förderung. — S c h ü l e r H e r b a r t s : M o r i z W i l h e l m D r o -
b i s c h
2
, O t t o F l ü g e l
3
, L u d w i g A d o l p h S t r ü m p e l l
4
, K a r l
F o r t l a g e
5
und andere.
3.
Die n e u k a n t i s c h e S c h u l e
Diese entstand, wenn wir von den alten Bestrebungen „Zurück
zu Kant“ H e r m a n n L o t z e s (1817—1881)
6
und des Im-
m a n u e l H e r m a n n F i c h t e
7
absehen, hauptsächlich in
zwei Formen, der sogenannten Marburger Richtung ( H e r m a n n
1
Johann Friedrich Herbart: Lehrbuch zur Einleitung in die Philosophie, Kö-
nigsberg 1813, 4. Aufl., Leipzig 1912 (= Philosophische Bibliothek, Bd 146).
2
Moriz Wilhelm Drobisch: Neue Darstellung der Logik nach ihren einfachen
Verhältnissen, mit Rücksicht auf Mathematik und Naturwissenschaft, 5. Aufl.,
Leipzig 1887.
3
Otto Flügel: Die Probleme der Philosophie und ihre Lösungen, 4. Aufl.,
Cöthen 1906.
4
Ludwig Adolph Strümpell: Die Einleitung in die Philosophie vom Stand-
punkt der Geschichte der Philosophie, Leipzig 18
86.
5
Siehe unten S. 301.
6
Hermann Lotze: Logik, Drei Bücher vom Denken, vom Untersuchen und
vom Erkennen, Leipzig 1912 (= Philosophische Bibliothek, Bd 141); Mikro-
kosmos, Versuch einer Anthropologie, 6. Aufl., Leipzig 1923 (= Philosophische
Bibliothek, Bd 185—187).
7
Immanuel Hermann Fichte: Anthropologie, 3. Aufl., Leipzig 1876.
7 Spann 13