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Unwiderleglich richtig erscheint zunächst am Begriffe des Aprio-

ri: daß das Erkennen u n s e r e e i g e n e T a t sei und weder die

Anschauung noch das Denken aus den Sinneseindrücken naturhaft

(ursächlich-mechanisch) hervorgehe, wie der Empirismus fälschlich

sagt. Die m e n s c h l i c h e E r k e n n t n i s i s t k e i n N a -

t u r e r z e u g n i s . Ist aber die Erkenntnis unsere eigene Tat,

dann müssen uns auch eigene Erkenntnismittel, die nicht vom In-

halt abgeleitet sind, angehören, nämlich die Weisen, nach denen das

Ich sich selbst zum Denken bestimmt. Und eben darin liegt das

Apriori beschlossen.

Dagegen ist Kantens Begriff des Apriori unseres Erachtens in fol-

genden Punkten anzufechten: Erstens findet Kant die höhere Einheit

nicht, welche die auseinandergerissenen Vermögen des Verstandes

und der Sinn- / lichkeit wieder zu verbinden vermöchte und damit

auch die getrennten apriorischen Formen beider Art in ihrer Ein-

heit verständlich machte. Fragt man, worin diese Einheit liegen

könnte, so verweisen wir außer auf jenen Weg, den Fichte be-

schritt

1

, auf den Begriff der „Eingebung“ oder „intellektuellen An-

schauung“. Liegt nicht gerade in ihr die Einheit von apriorischem

und aposteriorischem Wissen beschlossen? Platon, Aristoteles, Fich-

te, Schelling, Hegel, Baader haben sich, soferne sie alle die intellek-

tuelle Anschauung kennen, dadurch allein schon über den Kanti-

schen Apriorismus erhoben. — Bei Kant selbst kann man übrigens

in der praktischen Vernunft und in der Lehre vom intuitiven Ver-

stande, sowie in der Lehre vom Schönen (wie die letzteren in der

„Kritik der Urteilskraft“ entwickelt werden) starke Ansätze zu die-

ser Vereinheitlichung finden. Auf rein theoretischem Gebiete ent-

spräche dem seine Lehre von der Einheit des Bewußtseins, nämlich

der „transzendentalen Synthesis der Apperzeption“.

Aber gerade mit dieser „Synthesis“ ist ein zweiter Mangel des

Kantischen Apriori verbunden. Kant nimmt an, daß sich eine ur-

sprüngliche Besonderheit — die Einzelempfindung, der Gedanke —

zur Allgemeinheit h i n a u f b i l d e . Das ist aber unmöglich. Aus

der Zerstreutheit zur Einheit kann keine „Synthesis“ führen. Das

einzig Denkbare ist, daß sich ein Allgemeines zu einem Besonderen

h i n a b b i l d e , konkretisiere, ausgliedere!

1

Siehe darüber unten S. 121 ff.