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Er „begrenzte nicht, als tätig, das Ich; aber er gäbe ihm die Aufgabe, sich selbst
zu begrenzen“, das heißt diese Aufgabe ist es eben, die auf dem praktischen
Felde liegt. „Diese Erklärungsart ist“, sagt Fichte, „wie in die Augen fällt, reali-
stisch; nur liegt ihr ein weit abstrakterer Realismus zum Grunde, als alle die
vorher aufgestellten: nämlich es w i r d i n i h m n i c h t e i n a u ß e r d e m
I c h v o r h a n d e n e s N i c h t i c h . . . , sondern eine bloße A u f g a b e für
eine durch dasselbe (das Ich) selbst in sich vorzunehmende Bestimmung... ange-
nommen.“ „Wenn es erlaubt ist, einige Blicke vorwärts zu tun“, fügt Fichte hinzu,
„so läßt sich der Unterschied (zum naiven Realismus) noch bestimmter / angeben.
Nämlich im praktischen Teile wird sich zeigen, daß die Bestimmbarkeit (des Ich
durch jene Aufgabe) ... ein G e f ü h l ist. Nun ist ein Gefühl allerdings eine
Bestimmung des Ich; aber nicht des Ich als Intelligenz, das ist desjenigen Ich,
welches sich setzt als bestimmt durch das Nichtich“, sondern desjenigen Ich, wel-
ches sich setzt als bestimmend das Nichtich = als Handelndes, als praktisch
1
. —
Am Ende des 3. Teiles sagt dann Fichte, daß sowohl die Realität der Außendinge
wie die Realität des Ich g e f ü h l t werde. „Hier liegt der Grund aller Realität...
Etwas, das lediglich durch die Beziehung eines Gefühls möglich wird...
wird geglaubt.. . An Realität überhaupt, sowohl die des Ich als des Nichtich,
findet lediglich ein G l a u b e statt.“
2
Dieser Glaube ist es, von dem Fichte in
der „Bestimmung des Menschen“ redet — Glaube an das Übersinnliche an Gott,
das „ B a n d d e r G e i s t e r“, die „Synthesis der Geisterwelt.“
Mit dem „Nichtich“ und dem „Anstoß“ ist für Fichte auch der
Begriff der N a t u r gegeben. Die Natur, die Sinnenwelt, ist ihm
nicht tot, sondern überall L e b e n (wie das Ich); aber im besonde-
ren ist sie nur S t o f f d e r P f l i c h t e r f ü l l u n g , nur der
Widerstand, an dem sich das sich setzende Ich entfalten kann. Sie
ist aus ihrem t e l e o l o g i s c h - s i t t l i c h e n V e r h ä l t -
n i s s e z u m M e n s c h e n z u b e g r e i f e n . A l l e s
s o l l a u f d a s s i t t l i c h e L e b e n z u r ü c k g e f ü h -
r t w e r d e n . Hier zeigt sich Fichtes Philosophie wieder als durchaus
ethische Weltansicht. Fichte bringt die Natur im 3. Buche der „Be-
stimmung des Menschen“ in engen Zusammenhang mit der trans-
zendentalen Gemeinschaft der Geister, der „Synthesis der Geister-
welt“
3
. Die Sinnenwelt ist auf einen unendlichen Willen (in dem
auch die intelligible Gemeinschaft der Geister beschlossen ist) zu-
1
Johann Gottlieb Fichte: Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, Leip-
zig 1921, S. 210 f. (= Werke, Ausgabe Mecicus, Bd 1 = Philosophische Biblio-
thek, Bd 127) •- Alle Bemerkungen in Klammern und die Hervorhebung stammen
von mir.
2
Johann Gottlieb Fichte: Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, S. 301.
3
„Es fehlt der Wissenschaftslehre an Vollendung“, schreibt Fichte in einem
Briefe an Schelling vom 31. Mai 1801 (Johann Gottlieb Fichtes Leben und littera-
rischer Briefwechsel, herausgegeben von Immanuel Hermann Fichte, Bd 2, 2. Aufl.