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schritte verhalten sich wie: Setzung, Gegensatz, Verbindung oder
wie: Thesis, Antithesis, Synthesis. „Wir haben im dritten Grund-
satz“, sagt Fichte, „eine Synthesis zwischen dem entgegengesetzten
Ich und Nichtich, vermittelst der Teilbarkeit..
."
1
Diese Synthesis
ist die „Grundsynthesis“, in der alle anderen Synthesen enthalten
sind
2
. Die Form des Systems und das Gesamtverfahren ist damit
vorgezeichnet. Das Entgegengesetzte muß in den jeweils gegebenen
Synthesen durch Analysis gefunden und dann durch Synthesen ver-
bunden werden, solange bis die absolute Einheit erreicht ist (Gott).
Kurz: Im A u f s u c h e n v o n G e g e n s ä t z e n u n d V e r -
b i n d e n d e r s e l b e n z u n e u e n S y n t h e s e n b e -
s t e h t d a s n e u e V e r f a h r e n , das „dialektische Verfah-
ren“, welches später von Schelling und Hegel weitergebildet wurde.
Bezeichnet man die Setzung oder These als +, die Entgegensetzung
oder Antithese als —, die Ineinssetzung oder Synthese als +_, so hat
man die später klar gehandhabten Bestimmungen des Verfahrens
alle schon vor sich. Als solche möchten wir erstens bezeichnen: die
Fortschreitung durch Gegensätze hindurch (Synthese als „Negation
der Negation“); zweitens die Einwohnung des Späteren im Frühe-
ren (Immanenz der Entwicklung); drittens und vor allem den
„Identitätsgrundsatz“, da nämlich in der höchsten Synthesis, alle /
früheren Setzungen mit inbegriffen, letztere also in der Einheit der
Synthesis enthalten, befaßt sind
3
.
Fichte selbst erläutert später das Verfahren der „Wissenschaftslehre“ mit fol-
genden Worten: „Sie konstruiert das gesamte gemeinsame Bewußtsein aller ver-
nünftigen Wesen schlechthin a priori, seinen Grundzügen nach, ... sie hebt an
von der einfachsten und durchaus charakteristischen Bestimmung des Selbst-
bewußtseins, der Anschauung oder Ichheit, und geht in der Voraussetzung, daß
das vollständig bestimmte Selbstbewußtsein letztes Resultat aller anderen Bestim-
mungen des Bewußtseins sei, fort, bis dieses abgeleitet ist.“
4
7 .
Die p r a k t i s c h e V e r n u n f t ( S i t t e n l e h r e )
Den Übergang zur praktischen Vernunft gewinnt Fichte dadurch,
daß er aus dem dritten Grundsatze der „Wissenschaftslehre“ („Das
Ich setzt im Ich das Nicht-Ich“) weitere Folgesätze entwickelt. Zu-
1
Johann Gottlieb Fichte: Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, S. 114.
2
Johann Gottlieb Fichte: Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, S. 114.
3
Siehe unten S. 269 ff. und 275 f.
4
Johann Gottlieb Fichte: Sonnenklarer Bericht (1801), Leipzig 1922, S. 379
(= Werke, Ausgabe Medicus, Bd 3 = Philosophische Bibliothek, Bd 129).