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rückzuführen. „Es ist alles belebt und beseelt und blickt aus hellen
Geisteraugen mich an und redet mit Geistertönen an mein Herz.“
* 1
Dieser alle einzelnen Willen verbindende Urwille, dieses Ur-Ich
oder Absolute, das jedem Einzel-Ich zugrunde liegt, war gewiß von
Anfang an für Fichte die stillschweigende Voraussetzung der Wis-
senschaftslehre. Wie sehr sie ihm erst durch Schelling zum Bewußt-
sein kam, ist allerdings kaum zu entscheiden
2
.
/
E r l ä u t e r n d e r Z u s a t z z u m D i n g a n s i c h — u n d
N a t u r b e g r i f f
Kann auch nach Fichte eigentlich erst im praktischen Teile der „Wissen-
schaftslehre“ vom Ding an sich weiter geredet werden
3
, so fällt es doch zugleich
in das theoretische Ich. „Der letzte Grund des Bewußtseins“, sagt Fichte, „ist eine
Wechselwirkung des Ich mit sich selbst [das heißt Setzung und Auffassung des
Gesetzten
als
eines
Entgegengesetzten
oder
Nichtichs]
v e r m i t t e l s t
eines... Nicht-Ich, im Sinne eines Dings an sich, einer unabhängigen Realität
außer dem Ich“
4
. „Wo liegt nun das unabhängige Nicht-Ich... [das] Ding
an sich...? Offenbar nirgends und allenthalben zugleich. Es ist nur da, Inwie-
ferne man es nicht hat [nämlich sofern es unabhängig vom Ich und daher nicht
in dessen Tätigkeit, bestimmend enthalten ist], und es entflieht, so bald man es
auffassen will“
5
[nämlich soferne es eine Tätigkeitsweise, Bestimmen, Auf-
fassen des Ich ist — und daher nicht mehr an sich, sondern das Ich selbst ist].
„Alles ist seiner Idealität nach [nämlich als Setzungsweise — Gedanke, Vor-
stellung — des Ich] abhängig vom Ich, in Ansehung der Realität [nämlich des
wirklichen Setzens, Vorstellens des empirischen Ich, das nicht ohne Anstoß mög-
lich ist] aber ist das Ich selbst abhängig.“
6
„ . . . jene Wechselwirkung zwischen
dem Ich und Nicht-Ich ist zugleich eine Wechselwirkung des Ich mit sich selbst“
7
[in seinen eigenen Setzungen], Das sei, so sagt Fichte, „praktischer Idealismus,
den man auch einen Real-Idealismus oder einen Ideal-Realismus nennen könnte“
8
.
Leipzig 1862, S. 342). „Die höchste Synthesis nämlich ist noch nicht gemacht, die
Synthesis der Geisterwelt. Als ich Anstalt machte, diese Synthesis zu machen,
schrie man eben ,Atheismus
1
.“ Und schon vorher, am 27. Dezember 1800, hatte er
geschrieben: „Es fehlt noch an einem transzendentalen System der intelligiblen
Welt... Die deutlichsten Winke darüber finden sich im 3. Buche meiner Bestim-
mung des Menschen.“ (Fichtes Leben und litterarischer Briefwechsel, Bd 2, S. 333.)
1
Johann Gottlieb Fichte: Sämtliche Werke, Bd 2, S. 315, vgl. auch S. 317
und öfter.
2
Siehe unten S. 155 f.
3
Siehe unten S. 136 ff.
4
Johann Gottlieb Fichte: Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, Leip-
zig 1921, S. 282 (= Werke, Ausgabe Medicus, Bd 1 = Philosophische Bibliothek,
Bd 127) — Die Klammerausdrücke und Hervorhebungen stammen hier wie im
folgenden von mir.
5
Johann Gottlieb Fichte:
Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, S. 283.
6
Johann Gottlieb Fichte:
Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, S. 280.
7
Johann Gottlieb Fichte:
Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, S. 281.
8
Johann Gottlieb Fichte:
Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, S. 281.