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die formale in eine materiale Ethik verwandelt. Es wird ein Über-
Dir auf wirksamere Weise in die Sittenlehre gebracht, als bei Kant,
wo bloß die Allgemeingültigkeit des Vernunftgesetzes, das „Be-
wußtsein überhaupt“, das Über-Dir vorstellt. Denn mit der „Be-
stimmung“ tritt (was Fichte immer klarer folgert) eine W e l t -
O r d n u n g auf, welche über jedem Einzelnen steht. Letzter
Grund des Sittlichen ist das Absolute, welches den einzelnen Ichen
ihre Bestimmung anweist.
F r e i h e i t s l e h r e . Unser Leben stammt ans einem allgemeinen Leben, wel-
ches erst in reflexiver Tätigkeit (der Selbstentgegensetzung) zum individuellen
Bewußtsein kommt. Es erwacht ohne Willen, o h n e F r e i h e i t . Erst der
Aufschwung des Geistes zur Erkenntnis des sittlichen Zweckes, zu dem wir leben,
führt zur Freiheit. Diese „Erkenntnis“ ist aber etwas Unmittelbares, ein Gewis-
sensakt, eine „ i n t e l l e k t u e l l e A n s c h a u u n g “ , mittelst der wir unsere
Bestimmung ergreifen.
8 . G e s e l l s c h a f t s l e h r e
Fichte entwickelt in der Gesellschaftslehre von Anbeginn den Be-
griff des Über-Dir, den Gemeinschaftsgedanken. Er gründet das ge-
sellschaftliche Ich nicht auf sich selbst, sondern auf das Du. Das ge-
schieht durch den Begriff der „A u f f o r d e r u n g“. Der erste
Anfang des Wollens, sagt Fichte, ist nur möglich, wenn der Mensch
von einem andern dazu bestimmt, aufgefordert werde. „Sollen
Menschen überhaupt sein, so müssen mehrere sein“, sagt er schon
im „Naturrecht“, 1796. Sobald man den Begriff des Menschen „voll-
kommen bestimmt, wird man von dem Denken des Einzelnen aus
getrieben zur Annahme eines zweiten, um den ersten erklären zu
können“
1
.
Leider führte Fichte diesen Gedanken in seinem Rechts-, Staats-
und Gesellschaftsbegriff nicht durch, blieb vielmehr durchaus in
den / Lehrbegriffen des übernommenen individualistischen Natur-
rechts, indem er Recht und Staat noch aus dem Vertrage ableitete. In
seiner Spätlehre hat er jedoch auch im Aufbau der Lehrbegriffe
mehr und mehr den Individualismus überwunden
2
. Seine Führer-
lehre dagegen war von Anbeginn nicht individualistisch und grün-
1
Johann Gottlieb Fichte: Grundlage des Naturrechts (1796), Leipzig 1922,
S. 33 (= Werke, Ausgabe Medicus, Bd 2 = Philosophische Bibliothek, Bd 128).
2
Am meisten in seinen Reden an die deutsche Nation (1809), in: Fichtes
Schriften zur Gesellschaftsphilosophie, herausgegeben von Plans Riehl, Teil 1,
Jena 1928 (= Die Herdflamme, Bd 15).