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Ü b e r e i n s t i m m u n g d e r G e i s t e r u n d i h r e r g e m e i n s a m e n
S i n n e n w e l t . “
1
Die Verbürgung der objektiven Wirklichkeit ebenso wie die
letzte Grundlage für die Selbstsetzung des Ich war damit erreicht. — Im Einzelnen
finden wir in der Spätlehre:
a.
Daß im Selbstbewußtsein Sein und Wissen einerlei seien. Selbstsetzung oder
Selbstbewußtsein ist: (1) das Sein, das sich weiß, und (2) das Sein, das nur als
sich-wissend ist. Das Selbstbewußtsein kann sich nicht denken, nicht ableiten, es
kann sich nur finden, es kann nur da sein als wahrhaftiges reales Sein und Leben
2
.
„ . . . es ist zwischen dem Absoluten oder Gott und dem Wissen in seiner tiefsten
Lebenswurzel gar keine Trennung.. .“
3
b.
In dieser Identität beruht das Selbstbewußtsein, sie ist seine tiefste Wurzel:
das Absolute oder Gott: (1) das Prinzip des Selbstbewußtseins ist die E i n h e i t
von Sein und Wissen = die Identität von Subjektivem und Objektivem; aber
(2) das Selbstbewußtsein kann unmöglich als Identität e r s c h e i n e n , denn
mit dem Selbstbewußtsein ist die Trennung von Sein und Wissen notwendig ge-
setzt; dagegen tritt nun auf:
c.
die Rückkehr des Selbstbewußtseins in seinen Urgrund, die Erfassung des
Ewigen darin. Diese Rückkehr ist R e l i g i o n .
d.
Das unveränderliche, ewige Sein, Gott, wird durch das Selbstbewußtsein,
welches das Denken vom Sein, das Subjektive vom Objektiven trennt, zur Mannig-
faltigkeit. Infolge des Selbstbewußtseins entsteht ein objektives Sein.
In der Spätlehre Fichtes sowohl wie in der Spätlehre Schellings ergibt sich die
Notwendigkeit, ihren Gang umzukehren: nicht mehr von einem Gegebenen als
dem ersten Gliede auszugehen und das Metaphysische als letztes Ergebnis zu
erhalten (die streitende Form des Idealismus, die noch im Kampfe gegen den Em-
pirismus und Apriorismus befangen ist); sondern vom Absoluten (Gott) auszu-
gehen und Geist wie Welt daraus abzuleiten, zu vermitteln.
Das eine, absolute, göttliche Sein wird im Bewußtsein in eine Welt verwandelt.
Denn das Selbstbewußtsein, der Begriff trennt Denken und Sein, Ich und Nichtich.
„D er B e g r i f f i s t d e r e i g e n t l i c h e W e l t s c h ö p f e r“, sagt
Fichte'*. Die „durch die Spaltung entstandenen Gestalten des Einen Realen. . .
[lassen sich] a priori ableiten“
5
. F i c h t e n i m m t d a m i t H e g e l v o r -
w e g .
Die einzige Form, die uns das göttliche Sein offenbart, das Bewußtsein, trägt
zugleich die Bedingung in sich, die uns das Göttliche verdunkelt, weil es das Eine
in die Mannigfaltigkeit bringt. Das subjektive Ich, von Schranke zu Schranke
stürmend, besinnt sich schließlich auf seine eigene Tiefe, dort erst findet es seinen
letzten Grund und Quell.
/
Fichte gab diesen Gedanken auch dichterischen Ausdruck:
1
Johann Gottlieb Fichte: Die Bestimmung des Menschen (1800), Leipzig
1922, S. 303, vgl. auch S. 288 ff., 298 ff., 317 f. und öfter (= Werke, Ausgabe
Medicus, Bd 3 = Philosophische Bibliothek, Bd 129).
2
Johann Gottlieb Fichte: Die Anweisung zum seligen Leben (1806), Leipzig
1922, S. 436 (= Werke, Ausgabe Medicus, Bd 3 = Philosophische Bibliothek,
Bd 131).
3
Johann Gottlieb Fichte: Die Anweisung zum seligen Leben, S. 443.
4
Johann Gottlieb Fichte: Die Anweisung zum seligen Leben, S. 454.
5
Johann Gottlieb Fichte: Die Anweisung zum seligen Leben, S. 459.