[127]
141
„Das ist’s! Seit in Uranias Aug, die tiefe,
Sicht selber klare, blaue, stille, reine
Lichtflamme ich, selbst still, hinein gesehen:
Seitdem ruht dieses Aug mir in der Tiefe,
Und ist in meinem Sein — das ewig Eine,
Lebt mir im Leben, sieht in meinem Sehen.“
„Nichts ist, denn Gott und Gott ist nichts, denn Leben.
Gar klar die Fülle sich vor dir erhebet.
Dein Ich ist sie; es sterbe, was vernichtbar,
Und fortan lebt nur Gott in Deinem Streben.
Durchschaue, was dies Sterben überlebet:
So wird die Hülle Dir als Hülle sichtbar
Und unverschleiert siehst Du göttlich Leben.“
D .
D i e g e s c h i c h t l i c h e n F o r m e n d e s
S e l b s t s e t z u n g s g e d a n k e n s
Als Mittelpunkt und Systemgedanke einer Philosophie trat der
Selbstsetzungsbegriff in der Geschichte nur bei Fichte auf. Aber er
ist gleichwohl in der Philosophie nicht unbekannt, vielmehr uraltes
Wissensgut, so sehr, daß man sagen darf, der Begriff der Selbstset-
zung sei keiner idealistischen Philosophie fremd.
P l a t o n bestimmt im „Phaidros“ und in den „Gesetzen“ die Fähigkeit der
Seele, selbst den Anfang der Bewegung
(
άρχή τής κινήαεως
)
zu machen, als das
Wesen der Seele. Dort und im „Phaidon“ dient ihm diese Fähigkeit der „Selbst-
bewegung“ zur Grundlage eines Unsterblichkeitsbeweises
1
. — A r i s t o t e l e s
sagt die Selbstbewegung von der Seele als der „ersten Entelechie des Leibes“ aus,
als welche sie nämlich zugleich Bewegungsursache und Zweck desselben ist im
Besonderen auch vom obersten Seelenteile, vom „tätigen Nus“, dem „intellectus
agens“
2
.
Mit Platon und Aristoteles haben die N e u p l a t o n i k e r die Lehre von
der Seele als dem sich selbst Bewegenden geteilt. Ebenso die Scholastiker. S c o -
t u s E r i u g e n a sagt: „Für die Seele ist wesentlich Sein und Sichbewegen eins
und dasselbe.“
3
T h o m a s u n d d i e S c h o l a s t i k e r nannten den tätigen
Nus des Aristoteles „intellectus agens“, womit die Selbstbewegung deutlich zum
Ausdruck kommt.
Der M y s t i k war der Gedanke der Selbstsetzung von je vertraut. M e i -
s t e r E c k e h a r t spricht: „Die Seele gebiert sich selber und gebiert aus sich
1
Siehe unten S. 217.
2
Aristoteles: Über die Seele, übersetzt von Adolf Busse, Leipzig 1922, 412 a,
27; 429 a, 23 ff. (= Philosophische Bibliothek, Bd 4). — Ebenso liegt Selbst-
bewegung im Begriffe des „actus purus“.
3
Johannes Scotus Eriugena: Uber die Einteilung der Natur, deutsch von Lud-
wig Noack, Leipzig 1876, S. 182 (= Philosophische Bibliothek, Bd 66).