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seiner begrifflichen Gestalt verborgen? Es war die tiefe metaphysi-
sche Natur Fichtes und dabei sein vorwärtsstürmendes, Berge ver-
setzendes Lebensgefühl, das seinen Begriffen zugrunde liegt. Diese
kühne Art, die trotz der Gefahr, sich in Ereiferertum zu verstrik-
ken, voller Wirklichkeitssinn blieb, wird jedermann bewundern,
der im Studium Fichtes weit genug fortschritt.
1. Die B e d e u t u n g d e r S e t z u n g s l e h r e
„Die französische Revolution, Fichtes Wissenschaftslehre und
Goethes Meister sind die größten Tendenzen des Zeitalters.“ Mit
diesen Worten kennzeichnete Friedrich Schlegel den Eindruck, den
das Auftreten Fichtes auf die jungen Romantiker in Jena, darunter
auch Novalis (wie seine „Fragmente“ bezeugen) machte, sowie auch
auf die Besten der damaligen Kant-Anhänger. Diese, so K a r l
L e o n h a r d R e i n h o l d (
1823), gingen zu Fichte über. /
Fichte hat mit dem Begriffe der „Selbstsetzung“ einen ungeheu-
ren Wurf getan. Die Geisteslehre wurde von der „Selbstsetzung“
aus tiefer begründet als je. Denn obzwar der Grundgedanke der
Selbstbewegung nicht neu ist, wurde er doch niemals planmäßig zur
Erklärung des Wesens und Aufbaus des gesamten Bewußtseins ver-
wendet. Im höchsten Alter noch äußerte sich Schelling über Fichte in
denkwürdigen Worten: „Seit den Zeiten des Altertums hat der phi-
losophische Geist keine Eroberung gemacht, die sich der des Idea-
lismus vergleichen ließe, wie dieser von Kant zuerst eingeleitet
wurde. Aber zu deren Ausführung gehört notwendig Fichtes Wort:
,Dasjenige, dessen Wesen und Sein bloß darin besteht, daß es sich
setzt, ist das Ich; so wie es sich setzt, ist es, und so wie es ist, setzt es
sich'; und es scheint uns, Fichtes Bedeutung in der Geschichte der
Philosophie wäre groß genug, wenn sich seine Mission auch bloß
darauf beschränkt hätte, dies auszusprechen, wenn, was er hinzu
getan, zwar immer die subjektive Energie seines Geistes bezeugt,
aber dieser Sache nichts hinzugetan hätte.“
1
Eine Beurteilung der „Wissenschaftslehre“ hat sich vor allem auf
die Begriffe der „Selbstsetzung“ und der „Entgegensetzung“ zu sam-
meln.
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Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling: Sämtliche Werke, Abt. 1, Bd 10,
Stuttgart 1861, S. 466.