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Ich durch das Du, also ein Bestimmtwerden und Bestimmen (des Du
durch das Ich) auf gleicher Ebene. Ist aber Gezweiung die Bedingung
der Selbstsetzung, so folgt ferner: Der Selbstsetzung des Ich liegt
nicht mehr nur ein Ich:Gegenstand-Verhältnis (Subjekt:Objekt-
Verhältnis), sondern auch ein Ich:Du-Verhältnis (Subjekt:Subjekt-
Verhältnis) zugrunde
1
. Das bedeutet eine Gegenseitigkeit von co-
gitor und cogito auf gleicher Ebene: Ich erkenne Dich, indem Du
mich erkennst. — Drittens, dazu kommt noch jenes mittelbare Be-
stimmtwerden des Ich, das in der sinnlichen Empfindung liegt, das
allerdings bei Fichte nicht übersehen wird, aber doch keine völllige
Auflösung findet, weil der objektive Faktor noch fehlt. Er wird erst
von der Naturphilosophie Schellings eingeführt. Das Sinnliche ist
unseres Erachtens ein Bestimmtwerden durch ein anderes kraft jener
mittelbaren Selbstsetzung: cogitor und cogito u n g l e i c h e r
Ebene.
b.
Inhaltlich bemerken wir zu Fichtes Setzungslehre, daß ihr Bild
des Bewußtseins noch zu r a t i o n a l i s t i s c h sei. Der Grund
liegt in der alleinigen Herrschaft des Ich: Gegenstand-Verhältnisses
für den Aufbau des Bewußtseins. Daher sind die höchsten Erschei-
nungen, das Ich:Du-Verhältnis, die Liebe (Gezweiungsbewußtsein)
und der Glaube (Bewußtsein der Befaßtheit in einem Höheren) in
ihr noch vernachlässigt.
Infolge des rationalistischen Grundzuges ist auch das L e i b l i c h - S i n n -
l i c h - T r i e b h a f t e des menschlichen Bewußtseins bei Fichte vernachlässigt
(wofür in der universalistischen Geisteslehre der Begriff der „Gezweiung höhe-
rer Ordnung“ eintritt
2
).
Es ist ferner noch die Frage: Wie das Sittlich-Richtende und das Künstlerisch-
Richtende durch den rein theoretischen — also nur logisch richtenden — Geist in
unser Ich kommen soll? Auch hier scheint mir nur die Eingebung zu helfen: denn
sie ist ihrem Gesamtinhalte nach richtmaßgebend (norm- / gebend), sie schafft
Rang und Wert, sie ist und bleibt zuletzt eine G a b e v o n o b e n .
I n d e r S p ä t l e h r e Fichtes, wo die Selbstsetzung des Ich das absolute Ich,
Gott selbst, zur höheren mystischen Bedingung hat, ferner in der „intellektuellen
Anschauung“ Schellings ist dann auch in diese Bahnen eingelenkt worden
3
.
Auf dieselben Probleme führt die Frage des Verhältnisses von
E i n z e l - I c h u n d a b s o l u t e m I c h (Gott) in Fichtes „Wis-
1
Näheres siehe in meinem Buch: Der Schöpfungsgang des Geistes, Jena 1928,
2., durchgesehene Aufl., Graz 1969 (= Gesamtausgabe Othmar Spann, Bd 10).
2
Vgl. mein Buch: Der Schöpfungsgang des Geistes, 2., durchgesehene Aufl.,
Graz 1969, S. 261 ff. (= Gesamtausgabe Othmar Spann, Bd 10).
3
Siehe unten S. 276.