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und wird später bei Schelling wieder zur Sprache kommen. Daß man
aber dieser / Auffassung auch eine große Seite abgewinnen könne,
beweisen die Worte aus Hölderlins Hyperion:
„Des Herzens Woge schäumte nicht so schön empor und würde Geist,
Wenn nicht der alte stumme Fels, das Schicksal, ihr entgegenstände.“
4.
Die A u f h e b u n g d e s G e g e n s a t z e s v o n D i n g
a n s i c h u n d E r s c h e i n u n g
Fichte findet in uns selbst das Ansich, er deckt es im Wurzel-
grunde unseres Innersten auf. Dafür kann er nicht hoch genug ge-
priesen werden. Fichte hat damit dem Menschen den Weg zum Hei-
ligtume seines Innern wieder freigelegt.
Die erste Folge ist, daß er der Trennung von „Ding an sich“ und Erscheinung
ein Ende machte. Wir selbst erkennen uns unmittelbar, in „intellektueller An-
schauung“, wir sind uns nicht bloße Erscheinung. So auch die äußere Natur. Denn
unsere Selbstsetzung, die kein naturhafter Ablauf ist, ist nunmehr die erste
Quelle alles Erkennens ebenso wie der Erkenntnisformen oder Kategorien. Diese
sind aber nun Selbstbestimmungen des Ich, daher die Natur (das Nicht-Ich) auch
sein bloßer Schein.
Ferner befreite die Verlegung des „Dinges an sich“ in das Ich Fichten völlig
von der Gefahr des S o l i p s i s m u s .
Gerade die Einsicht, daß das Ich keine empirische Erscheinung, sondern das
Ding an sich selber sei, hätte aber zur Objektivierung der Natur hindrängen sollen.
Daß sie unterblieb, daß Fichte diese Folgerung auf das Wesen der Natur nicht, wie
später Schelling, zog, wird immer unbegreiflich bleiben. Die Befangenheit in Kant,
die man für jene Zeit nicht hoch genug veranschlagen kann, muß wohl als der
Schlüssel dafür gelten.
Die Frage, wie weit oder wie nahe Fichtes „Wissenschaftslehre“ schon anfangs
dem Objektivitätsgedanken war, wird sich schwerlich jemals entscheiden lassen.
Sicher ist, daß das Ich der „ W i s s e n s c h a f t s l e h r e “ n i c h t d a s
e m p i r i s c h e w a r , e s w a r d a s „ t r a n s z e n d e n t a l e I c h “ (wie der
Kantische Ausdruck lautet), das heißt dasjenige, was die Kategorien erzeugt;
aber damit doch dasjenige, welches das empirische Bewußtsein des einzelnen Men-
schen hervorbringt, worin also, wie wir es nennen dürfen, ein Ü b e r i n d i v i -
d u e l l e s beschlossen liegt. Fichte geht also zwar vom Bewußtsein des einzelnen
Menschen aus — aber doch zugleich nur von seinem transzendentalen Grunde
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.
Für Fichte war demnach das Objektive gewiß erreichbar, nämlich dadurch, daß
den S e l b s t s e t z u n g e n
d e s
I c h
d a s
A b s o l u t e
z u g r u n d e
l i e g e n d g e d a c h t w e r d e n m u ß t e . Insoweit die Selbstsetzung des Ich
nicht ein rein subjektives Schaffen, sondern ein Schaffen aus tieferer Wurzel, ein
Schaffen aus Geschaffenwerden war, ein solches subjektives Schaffen, das durch ein
übersubjektives, göttliches Schaffen angeregt und begründet wurde, insoweit war
es möglich, den metaphysischen Grund der Natur zu erreichen. S o w e i t aber
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Siehe unten S. 154 f.