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Fichte es bei der Bestimmung der Natur als „Schranke“ des Ich (Selbstbeschrän-
kung, Anstoß) bewenden ließ, blieb er auf halbem Wege stehen.
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5.
Das A p r i o r i b e i F i c h t e
Trotz teilweiser Subjektivität der Setzungslehre ist das Apriori
bei Fichte der Subjektivität entkleidet. Sein Apriori ist nicht bloß,
wie bei Kant, eine „formale Bedingung“ der Erfahrung, welcher der
Inhalt als aposteriorisch entgegenstünde; sondern das gesamte Be-
wußtsein, auch die Empfindung, ist Selbstsetzung, ist notwendige
Vernunfthandlung, also apriorisch. Aber da die Natur (das Emp-
fundene) doch auf einer unbegriffenen Schranke des Bewußtseins
1
,
und indem die sinnliche Empfindung überdies auf „bewußtloser“
Hervorbringung, nicht bewußter Setzung, beruht
2
, liegt in ihr
doch, so möchten wir es nennen, nur ein m i t t e l b a r e s
A p r i o r i und in diesem bedingten Sinne eine Art von Aposte-
riori. Diese Unterscheidung unterließ Fichte.
Daß im grundsätzlichsten Sinne die Einheit von Erkennendem
und Erkanntem, von Geist und Natur, von Idealem und Realem,
Subjekt und Ansich der Dinge hergestellt werde, ist eine notwen-
dige Forderung jedes folgerichtigen Idealismus. Fichtes Lehre steuert
auf dieses Ziel hin und beweist damit, daß sie über die bloß erkennt-
nistheoretische Form wesentlich hinausgekommen war.
6.
S e t z u n g s l e h r e u n d G e s c h i c h t e
Indem Fichte das Selbstbewußtsein als Ergebnis einer Folge von
Setzungsschritten darstellt, wurde die „Wisssenschaftslehre“ zu einer
inneren Geschichte des Selbstbewußtseins. Aber Fichte sagt aus-
drücklich (besonders im „Sonnenklaren Bericht“), daß die Konstruk-
tion des Bewußtseins keine Entstehung in der Zeit bedeute, ein
Punkt, der für die Beurteilung auch der Schellingischen und hegeli-
schen Dialektik grundlegend ist. Darnach ist also die Verfolgung
der Setzungsschritte eine G e f ü g e l e h r e und keine zeitliche Ge-
schichtsschreibung. Das Selbstbewußtsein tritt nur als Ganzes auf
und kann darum auch nicht als zeitlich späterer Setzungsschritt er-
scheinen.
1
Siehe oben S. 124 f. und 127.
2
Siehe oben S. 105 und 127.