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Aristoteles geht ebenso von dieser Voraussetzung aus wie die Er-
kenntnislehre Platons, Schellings, Hegels, Baaders und der Mystik.
Folgende wenige Hinweise über diesen schwierigen, in Kürze schwer zu erklä-
renden Gegenstand müssen hier genügen.
Der Idealismus behauptet die Möglichkeit wahrer Erkenntnis, und insofern
ist es das, was Kant im Kampfe gegen erstarrte Systeme „D o g m a t i s m u s “
nannte. Dieser Dogmatismus muß aber durchaus nicht auf ungeprüft Übernom-
menem, auf unkritischer Begriffsentwicklung beruhen, sondern hat in / den gro-
ßen Lehrgebäuden des Idealismus das, was man seit Kant „K r i t i z i s m u s“
nennt, was aber der Sache nach schon früher da war, durchaus als inneren Grund-
satz befolgt.
P l a t o n hat denn auch, wie wir wissen, den Kritizismus des Sokrates in sich
aufgenommen und im Kampfe gegen die Sophisten selbst einen entschiedenen
Kritizismus entwickelt (nämlich die Lehre von der Unsicherheit der sinnlichen
Erfahrungen und der auf ihnen beruhenden Einsichten); A r i s t o t e l e s hat
diesen Kritizismus durch eine starke Richtung auf das Empirische noch weiter
begründet; L e i b n i z hat die zu weitgehende, unkritische Behauptung von den
„angeborenen Ideen“, welche zum Beispiel den Begriff von Gott begründen sollen,
auf die bloße Erweckbarkeit solcher an der Erfahrung herabgesetzt, also eigentlich
auf ein formales Apriori, wie man das seit Kant nennt, beschränkt.
In systematischer Hinsicht kann man folgende i d e a l i s t i s c h e E r -
k e n n t n i s t h e o r i e n unterscheiden: Die Erinnerungslehre Platons („Anamne-
sislehre“), welche zugleich mit dem vorplatonischen, platonischen und aristoteli-
schen Satze „Gleiches wird durch Gleiches erkannt“ verbunden ist
1
; die Set-
zungslehre Fichtes, die uns von früher bekannt ist, ähnlich die Lehre Hegels
2
;
dieselbe Lehre Schellings, aber zugleich auf den Begriff der intellektuellen An-
schauung (Eingebung) gegründet; die Eingebungslehre, welche der Verfasser in
seiner Pneumatologie entwarf
3
.
Im allgemeinen muß man leider sagen, daß die Erkenntnistheorie zu den am
wenigsten ausgebildeten Teilen der idealistischen Philosophien gehört. Das kommt
daher, daß deren Schwerpunkt nicht hier liegt, sondern in der Lehre von den Ver-
mittlungen des Übersinnlichen.
Infolge der Begründung der Wahrheit durch ein Über-Dir, ebenso durch alles,
was Eingebungslehre und Anamnesislehre an den idealistischen Erkenntnistheorien
ist, endlich auch durch alles, was auf den metaphysischen Grund der dialektischen
Setzungen hindeutet, sind die idealistischen Erkenntnistheorien sämtlich i r r a -
t i o n a l eingestellt. Jedoch tritt dieses Metaphysisch-Irrationale verschieden her-
vor, wie auch das Verhältnis zur Sinneserfahrung nicht überall das gleiche ist.
1
Eine nähere Erklärung folgt später, siehe unten S. 218.
2
Siehe unten S. 279 ff.
3
Vgl. meine Bücher: Der Schöpfungsgang des Geistes, 2., durchgesehene
Auf!., Graz 1969, S. 189 ff. (= Gesamtausgabe Othmar Spann, Bd 10); Gesell-
schaftsphilosophie, 2., durchgesehene Auf!., Graz 1968, S. 97 ff. (= Gesamtausgabe
Othmar Spann, Bd 11); Geschichtsphilosophie, Jena 1932, S. 39 f., 117 f. und
387 f. (= Ergänzungsbände zur Sammlung Herdflamme, Bd 2); Ganzheitliche
Logik, Eine Grundlegung, aus dem Nachlaß herausgegeben von Walter Heinrich,
Salzburg, Klosterneuburg 1938 (= Stifterbibliothek, Bd 93 a—f).