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meinschaft wird, kann dem Idealismus das Sittliche erst n a c h der
Ausgliederungsordnung der objektiven gesellschaftlichen Geistes-
welt kommen. So ist Platon zu deuten, dessen „Tugenden“ der Stan-
desgliederung erst nachfolgen, so Hegel, dem der Staat die „Wirk-
lichkeit des Geistes“ ist
1
. Erst aus der G l i e d h a f t i g k e i t
des Einzelnen folgt die sittliche Forderung.
Dem sittlichen Relativismus, Utilitarismus und Individualismus des E m p i r i s -
mus stellt der Idealismus entgegen: entweder eine P f l i c h t e n l e h r e als
formales sittliches Apriori (Kant), die aber nur als Ubergangsform zu be- / trach-
ten ist
2
oder eine begrifflich begründete T u g e n d l e h r e (Sokrates); oder
endlich eine objektive G ü t e r l e h r e , welche ihre Begründung findet entwe-
der: durch Bestimmung der sittlichen Güter von der Ideenwelt her (Platon) oder
von dem dialektischen Gefüge des objektiven Geistes her (Hegel) oder von der
universalistischen Zergliederung der Ausgliederungsordnung der Gesellschaft her.
Letztere zeigt das Uberindividuelle in konkreter Form und läßt den gliedhaften
Einzelnen als die letztere Konkretisierung desselben erkennen. Der Einzelne kon-
kretisiert das Allgemeine (1) in Gezweiung (2) durch sein (gliedhaftes) Eigen-
leben. Dadurch wird der Gemeinschaft wie der P e r s ö n l i c h k e i t ihr volles
Recht
3
. — Hierauf gründet auch die E r z i e h u n g s l e h r e .
Insoferne die universalistische Gesellschaftslehre nach der Ausgliederungsord-
nung Unterganzheiten der gesellschaftlichen Gesamtganzheit kennt, gibt es auch
eine Güter-, Tugend- und Pflichtenlehre nicht nur für die Einzelnen, sondern auch
für die Ganzheiten der Gesellschaft (die Stände).
(g.)
4
Seelenlehre
Neben der Geisteslehre kann es eine eigene „empirische Psycho-
logie“ nicht mehr geben. Die Unterscheidung einer „rationalen
Psychologie“ und einer „empirischen Psychologie“, wie sie der
Wolffischen Schule entsprang, hatte nur darum Sinn, weil jene „ra-
tionale Psychologie“ sich mit allgemeinen Bestimmungen, wie die
Aussagen über die Substantialität, Einfachheit, Einheit, Immateria-
lität der Seele und dergleichen begnügte. Wenn aber eine tiefer ge-
gründete idealistische Geisteslehre den inneren Aufbau des Geistes,
ferner, wie seit Fichte, die innere Geschichte des Geistes aus seinen
Selbstsetzungen darstellt, so bedarf es einer eigenen „empirischen“
Seelenlehre nicht mehr. Es wäre denn, daß sie als Seelenkrankheits-
1
Siehe unten S. 288.
2
Siehe oben S. 90.
3
Siehe mein Buch: Gesellschaftsphilosophie, 2., durchgesehene Aufl., Graz
1968, S. 93 ff. (= Gesamtausgabe Othmar Spann, Bd 11).
4
Wir setzen diesen Buchstaben in Klammer, weil wir eine eigene Seelenlehre
neben der Geisteslehre nicht anerkennen.