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treten wir heiligen Boden. Wir atmen hier die Luft, in der das Le-

ben sich verjüngt. Aber nicht jeder kann eintreten, nicht jeder

Atem schöpfen.

Warum? Was wirkt uns entgegen?

Soll der Idealismus nicht leeres Wortgeklingel werden, dann ist es

unerläßlich, bis zu jener Eingebungsschichte vorzudringen, die seine

wahre Voraussetzung bildet. Der Empirismus nämlich ist in einer

einfachen Lage. Er stützt sich auf das, was die Sinne sagen. Das

versteht jeder. Anders der Idealismus. Er wäre nur dann in einer

gleichen Lage, wenn er sich ebenfalls auf eine Sinneswahrnehmung,

und zwar des Reingeistigen, Übersinnlichen, Himmlischen, Gött-

lichen berufen könnte. Aber wir können nicht die Gottheit und

nicht einmal die Seelen sinnlich wahrnehmen. Dieser heilige Sinn,

wie ihn Novalis nannte, fehlt uns.

Und dennoch fehlt er uns nicht ganz und gar, denn wir haben

doch die Sehnsucht darnach, den unausrottbaren Drang zum Hei-

ligen und das schmerzliche Bewußtsein der Bedürftigkeit. Und wes-

sen der Mensch bedarf, dessen ist er nicht ganz entblößt, es gehört

auch irgendwie zu ihm.

Indessen gilt es, diesen Trieb aufzuregen, das Dunkle in ihm zur

Dämmerung zu erhellen. Und eben dazu soll die Philosophie helfen.

Sie soll sich nicht, diese höchst unzeitgemäße Meinung müssen wir

hier aussprechen, als bloße Gedankenkunst erweisen, sondern zur

L e b e n s k u n s t werden.

Das philosophische Grübeln, Sinnen und Schürfen selber ist ja

schon jederzeit mehr als Gedanke, es beruht auf einer E i n k e h r

in sich selbst; und es ist damit: eine Ablösung des Geistes aus der

Zerstreuung und der Bilderwelt des äußeren, diesseitigen Lebens.

Nur wenn der Mensch in sich einkehrt, nur wenn er in dem „E r -

k e n n e d i c h s e l b s t “ innere Fortschritte macht, nur dann

kann er zum sicheren Grunde der idealistischen Philosophie Vor-

dringen. Aber warum gerade durch das „Erkenne dich selbst“? Ver-

mögen uns äußere Erkenntnisse, wie sie die Naturwissenschaften der

letzten Jahrhunderte / so überwältigend brachten, nicht weit mehr

zu fördern? Das ist eine Frage, um die die Neuzeit hart rang. Dar-

um müssen wir dabei verweilen.

Durch die Natur hindurch geht der Weg zum Übersinnlichen

nicht (mehr schon durch die K u n s t , die wir aber hier beiseite