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101

Verallgemeinerung, der A u g u s t O n c k e n mit Recht entgegengetre-

ten ist

1

.

F r e i h a n d e l s l e h r e . Ricardo folgt zunächst dem Gedankengange

Smiths, den er in einem berühmt gewordenen Beispiele erläutert: Wenn

England für eine bestimmte Menge Tuches die Jahresarbeit von 100 Men-

schen, für eine Menge Weines die Jahresarbeit von 120 Menschen, Por-

tugal dagegen für jenes Tuch die Jahresarbeit von 90, für den Wein von

80 Menschen aufwendete — dann sei es doch vorteilhaft, Tuch aus Eng-

land einzuführen und Wein nach England auszuführen. Denn das Tuch

wird in diesem Falle mit Wein gekauft, wo mehr gewonnen wird als

beim Tuch verloren

2

. — Eine n e u e W e n d u n g gibt Ricardo der Frei-

handelslehre dagegen, sofern er aus dem Bewegungsgesetze der Vertei-

lung folgert: Profit plus Lohn ist konstant; der Profit kann daher nur

wachsen durch ein Sinken des (realen) Lohnes; der Lohn kann dauernd

nur sinken durch ein Sinken der Preise der Bedarfsgüter, für die der

Lohn ausgegeben wird; das wieder kann hauptsächlich durch Heran-

ziehen der besten auswärtigen Böden geschehen. „Wenn wir anstatt unser

Getreide selbst zu bauen... einen neuen Markt entdecken, von dem wir

uns (mit Gegenständen des Reallohnes) billiger versorgen können, so

wird der Lohn sinken und der Profit steigen.“

3

— „Freihandel“ bei Smith

(billigste Ware) und „Freihandel“ bei Ricardo (billigste Ware und Preis-

gabe der schlechten Böden der eigenen Landwirtschaft nach der Renten-

theorie mit dem Erfolge der Senkung des Reallohnes und Steigerung

des Kapitalprofites) ist also nicht ganz derselbe Begriff, was man zumeist

ganz übersieht. — Die praktische Stellungnahme / Ricardos den Agra-

riern gegenüber war übrigens trotz alledem noch maßvoll und nahm

auf die Gefährdung der Landwirtschaft, welche durch die reine Handels-

freiheit herbeigeführt wird, Rücksicht.

Ricardo hat in der sozialen Wertung der wirtschaftlichen Klassen

einen dem Smithischen entgegengesetzten Standpunkt eingenom-

men, indem er den hohen Kapitalgewinn als gleichlaufend mit dem

öffentlichen Interesse ansah, während Smith erklärte, daß in reichen

Ländern der Kapitalgewinn niedrig, in armen Ländern aber hoch

sei, so daß das Interesse der Kapitalisten mit dem wirtschaftlichen

Fortschritte nicht ganz übereinstimme, wohl aber das Interesse der

Grundbesitzer und Lohnarbeiter

4

! Dagegen folgerte Ricardo aus

1

Vgl. besonders A u g u s t O n c k e n : Was sagt die Nationalöko-

nomie als Wissenschaft über die Bedeutung hoher und niedriger Ge-

treidepreise? Berlin 1901. — Dagegen die Übertreibungen von A d o l f

H e l d : Zwei Bücher zur socialen Geschichte Englands, Leipzig 1881.

2

David Ricardo: On the Principles of Political Economy and Taxa-

tion, VII., ins Deutsche übertragen und eingeleitet von Heinrich Waen-

tig, 3. Aufl., Jena 1923, S. 127.

3

David Ricardo: On the Principles of Political Economy and Taxa-

tion, VII., ebenda, S. 124.

4

Vgl. oben S. 72.