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M e n s c h ü b e r d e n N a t u r v e r l a u f e m p o r g e h o -

b e n , er ist, von der Natur aus gesehen, in das Reich des Wunders

gerückt, von sich selbst aus gesehen, in das Reich des reinen Geistes

erhoben!

Großes ist damit geschehen, der Weg hat sich geöffnet, die Natur-

ebene ist durchstoßen. „Nur wer Freiheit gekostet hat, kann das

Verlangen empfinden, ihr alles analog zu machen, sie über das Uni-

versum zu verbreiten“, sagt Schelling in seinen „Untersuchungen

über das Wesen der menschlichen Freiheit“ (1809).

Ist das innere Auge für die Freiheit in der Selbstsetzung und in

allem Ursprünglichen des Geistes aufgetan, so kennt es allerdings

vorerst doch nur das Nächste. Aber dennoch! Wie ferne der Mensch

auf diesem Standpunkt auch noch von dem heiligen Sinne sei, mit

welchem er Gott wahrnehmen könnte — die W a h r n e h -

m u n g d e r S e e l e n i s t i h m n u n n i c h t v ö l l i g

u n e r r e i c h b a r . Die Seelen sind zwar innerliche Wesen und

können nicht äußerlich den Sinnesorganen erscheinen; aber sind sie

uns darum innerlich ganz fremd? Wer von einem inneren Sinne

spricht, darf sich diesen füglich nicht wie einen äußeren vorstellen.

Tun sich die Seelen einander nicht doch innerlich kund? Gewiß, das

geschieht täglich und immer in dem, was wir G e z w e i u n g

o d e r G e m e i n s c h a f t nennen. Überall wo der Mensch in-

nere „Anteilnahme“ von anderen Menschen findet und an ihnen

nimmt, erfährt er u n m i t t e l b a r innere Erregung, Belebung.

Es ist ein Werden aneinander, ein g e g e n s e i t i g e s W e r d e n ,

E r w e c k e n — gleichwie zwei Pole eines Magneten aneinander

werden, also gegenseitig sind, einzeln aber nicht sind. Überall, wo

solche gegenseitige Erweckung der Geister anzutreffen ist — überall

dort ist auch u n m i t t e l b a r e s E i n a n d e r - I n n e w e r -

d e n d e r S e e l e n — Liebe! Dieses Verhältnis der Geister zu-

einander, welches ein Berühren zu nennen, ist es allein, das ihnen un-

mittelbares Gefühl und Wissen voneinander gibt. Und dieses un-

mittelbare Wissen der Geister voneinander weist uns überdies auf

ihr gemeinsames Enthaltensein in einem höheren Ganzen, zuletzt

in Gott, auf ihre R ü c k v e r b u n d e n h e i t hin.

Die Gezweiung kann als ein Wunder eigener Art, als eine vom

mechanisch gedachten äußeren Naturlauf grundverschiedene Erschei-

nung, nicht genug angestaunt werden. Daß ein anderer uns auch nur