194
[172/173]
Davon legen namentlich die Mitteilungen, die Platon im siebenten Briefe macht,
unwidersprechliches Zeugnis ab. Platon sagt dort
1
: Der geborene Philosoph ist
ein „göttlicher Mann“, der sich durch die Schwierigkeiten des Weges nicht ab-
schrecken läßt, sondern sich „mit dem Führer zusammentut“ ... „bis er alles zu
Ende gebracht h a t . . . und auf eine Weise lebt, die ihm in der Philosophie
förderlich ist“
2
. „Wenn dagegen die, welche keine echten Philosophen, sondern
mit Lehrsätzen getüncht sind, wie Leute, deren Leib von der Sonne verbrannt ist,
sehen... daß nur eine ge- / ordnete tägliche Lebensweise zu dem Werke paßt,
halten sie es f ü r . . . unmöglich.. .“
3
Darüber zu schreiben, nämlich über die Füh-
rung und ihr Ergebnis, die Ideenschau, ist für Platon unmöglich. „Es gibt darüber
nichts Schriftliches von mir und wird es niemals geben; denn es läßt sich gar
nicht wie andere Lehrgegenstände aussprechen, s o n d e r n d u r c h h ä u f i -
g e s Z u s a m m e n s e i n u m d e r S a c h e w i l l e n u n d d u r c h Z u -
s a m m e n l e b e n w i r d i m N u w i e v o n s p r i n g e n d e m F e u e r
e i n L i c h t e n t z ü n d e t und nährt sich, in der Seele erzeugt, dann auch
selbst.“
4
„Wenn ich nun glaubte, daß es sich zur Genüge schreiben oder sagen
ließe, vor den vielen, was hätte dann Schöneres von uns im Leben getan werden
können, als daß wir den Menschen zu großem Nutzen geschrieben und für alle
die Natur der Dinge zutage gefördert hätten?.. .“
5
Deutlich genug sagt hier
Platon, daß es sich um eine S c h u l e d e r V e r s e n k u n g handle, die zum
ekstatischen Erlebnis hinführen soll.
Daß die Geheimlehre dieser Schule nicht ein reines Begriffswissen war, geht
auch daraus hervor, daß Platon wiederholt von dem Philosophen, dem „göttlichen
Manne“, besondere innere Veranlagung fordert. Bald nach dem obigen sagt er:
„Wenn aber das Wesen [der Lernenden] schlecht i s t . . . so könnte solche auch
Lynkeus nicht sehend machen.“
6
— Dazu stimmt es, wenn Platon im „Theaitetos“
erklärt, daß in der Verähnlichung des Menschen mit Gott, in der Erhebung über
die sinnliche Natur allein wahre Weisheit und wahre Tugend enthalten ist
7
.
Ebenfalls auf eine Geheimlehre weist die Äußerung im „Sophistes“ hin, daß
das Auge der Menge nicht auszuharren vermöge, wenn es auf das Göttliche
blicht
8
. Ferner: „Den Schöpfer und Vater dieses Alls zu finden ist schwer, ihn
allen zu verkünden unmöglich.“
9
1
7. Brief, 340 c, angeführt nach Platons Staatsschriften, griechisch und deutsch,
herausgegeben von Wilhelm Andreae, Teil 1: Briefe, Jena 1923 (= Die Herd-
flamme, Bd 3).
2
7. Brief, 340 d, f.
3
Platon: 7. Brief, 340 d, f, angeführt nach Platons Staatsschriften, griechisch
und deutsch, herausgegeben von Wilhelm Andreae, Teil 1: Briefe, Jena 1923
(= Die Herdflamme, Bd 5).
4
Platon: 7. Brief, 341 c, f (von mir gesperrt).
5
Platon: 7. Brief, 341 d, f.
6
Platon: Brief, 343 d.
7
Platon: Theaitetos, in der Übersetzung von Friedrich Schleiermacher neu
herausgegeben von Curt Woyte, Leipzig 1922, 176 c (= Reclams Universal-
bibliothek, Bd. 6338—39).
8
Platon: Sophistes, übersetzt von Otto Apelt, Leipzig 1914, 254 a (= Philo-
sophische Bibliothek, Bd 150).
9
Platon: Timaios, übersetzt von Otto Apelt, Leipzig 1919, 28 c (= Philoso-
phische Bibliothek, Bd 179).