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erkennen. Platons Erkenntnislehre ist einerseits dadurch bestimmt,
daß die Ideen Gegenstände unseres Erkennens sind und uns ermög-
lichen, die Allgemeinbegriffe zu bilden (die also keine bloße Sum-
mierungen sinnlicher Erfahrungen sind); andererseits durch die
„Wiedererinnerung“. Platon entwickelt den Gedanken, daß die
menschliche Seele in ihrem Vorsein die Ideenwelt geschaut habe
und sich ihrer nun beim Anblicke der irdischen Dinge, die ja von
den Ideen gestaltet werden, wieder e r i n n e r e („Menon“, „Phai-
dros“). Alles Lernen sei nur Erweckung dessen, was man schon wisse:
Erinnerungs- oder Anamnesislehre. — Sofern Erinnerung Selbst-
erweckung ist und Selbsterweckung Selbstbewegung, können wir die
Fichtesche Selbstsetzung auch in der Erkenntnislehre Platons wie-
derfinden. — Die sinnliche Erkenntnis ist nach Platon verworren,
nur „M e i n u n g “
(
δόξα
).
Er bejaht damit zum Teil die Kritik,
welche schon die Sophisten und Heraklit an der Sinneserfahrung
geübt hatten; aber nur diese ist ihm relativ, die Ideenerkenntnis
ist W a h r h e i t
1
.
β.
Gesellschafts-, Sitten- und Seelenlehre
D i e G e s e l l s c h a f t s - , S i t t e n - u n d S e e l e n l e h r e
bildete bei Platon eine Einheit. Sie muß von der Ideenlehre aus ver-
standen werden. Das gesamte Gemeinwesen der Menschen, der
„Staat“, gliedert sich in Verrichtungszweige oder Stände aus. Die
Erfordernisse, die an die Stände gestellt werden, bestimmen ihre
Tüchtigkeit oder Tugenden. Die Tugenden endlich sind vorzugs-
weise an bestimmte Seelenverrichtungen oder Seelenteile geknüpft.
Den drei Ständen: Weise, Wächter (Beamte) und Wirtschafter, ent-
sprechen daher die Tugenden: Weisheit, Tapferkeit, Mäßigkeit;
diesen die Seelenvermögen oder Seelenteile: Geist, Gemüt (Seele im
engeren Sinne) und Begierde. Diesen entsprechen endlich im Leibe:
Kopf, Herz und Bauch.
Das h ö c h s t e G u t ist Gott. Es stellt sich in den ständischen
Verrichtungen, die „jedem das Seine“ zuteilen, als „Idee der Ge-
rechtigkeit“ / dar. Die I d e e
d e r
G e r e c h t i g k e i t
i s t s o m i t d a s G e s t a l t e n d e i m S t a a t s - u n d S i t -
t e n 1 e b e n . D i e L u s t rechnet Platon (als quantitativ) zur
1
Siehe dazu das „Höhlengleichnis“ unten S. 218 ff.