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Vernunft oder Begriff, Wort
(
λόγος
)
; (6) Wesen „Usia“
(ούσία);
ferner auch:
der Wesensbegriff (
λόγος έκάστον τής ούοίας
, „Staat“, 534 b); (7) das An-
sich, „auto kath’ autö“
(αύτό καθ αύτό),
das Ding selbst (das
αύτό τό όν.
..),
das heißt was sich nicht von einem andern herleitet, was in sich beruht; (8) das,
was ist, „ho ti esti“
(
ό τ ι έστί
) = Wesensbestimmung; (9) Henaden oder Mona-
den („Philebos“, 15 a, b). Außerdem finden sich noch mittelbare Bezeichnungen
wie: (10) Musterbilder oder Urbilder
(
παραδείγματα
)
, sofern nämlich die Ein-
zelwesen ihre Idee nicht ganz erreichen; (11) das Eine im Vielen
(έν έπί πολλών,
„Staat“, VII,
5 3 7) ;
das Allgemeine
(
τό
καθόλον)
oder Gemeinsame
(τό κοινόν)
im Mannigfaltigen und Einzelnen; (12) der Zweck
(τέλος),
sofern das Ding
seine Idee darzustellen hat.
Alle diese Benennungen weisen zugleich in ihrer Art auf die verschiedenen
Bestimmungen und Merkmale des Ideenbegriffes hin
1
. Als 5, 6, 7 und 11 ist die
Idee Grund der Möglichkeit der Erkenntnis der Dinge, ihr Allgemeines.
Die Bestimmungen „seiendes Sein“ (4) und „In-sich-beharren“, „Ansich“ (7)
widersprechen nur scheinbar der berühmten Stelle im „Sophistes“ (247 d ff.), wo-
nach die Idee doch zugleich „Bewegung, Leben und Einsicht“, das heißt zuletzt:
daß die Idee d e n k e
2
.
ß.
Der Ursprung der Ideenlehre
Ü b e r d e n U r s p r u n g d e r I d e e n l e h r e sind fast durchwegs fal-
sche Vorstellungen im Schwange. Die Ideen sollen (einer mißdeuteten, streitbaren
Bemerkung des Aristoteles zufolge) nur „hypostasierte Gattungsbegriffe“ sein,
was die Sokratische Begriffserklärung dem Platon nahelegte. Wer könnte aber
Platon den Unsinn Zutrauen, abstrakte Begriffe zu verdinglichen, „hypostasie-
ren“? Ohne einen Erlebnisgrund konnte diese Lehre nie aufgestellt werden. Ihr
wahrer Ursprung ist ein religiöser, der bei Platon noch im besonderen durch die
o r p h i s c h - p y t h a g o r ä i s c h e
M y s t i k bestimmt wurde. Aber ganz
allgemein liegt schon im P o l y t h e i s m u s die Vorstellung von übersinnlichen
Seinsmächten, welche die Welt gestalten, den Göttern, Halbgöttern und Natur-
geistern — nichts anderes als die Götterwelt ist im letzten Grunde die Ideenwelt.
Die I d e e n l e h r e i s t d a h e r A u s d r u c k e i n e s U r w i s s e n s d e r
g e s a m t e n M e n s c h h e i t .
/
Auch die uralte Lehre von den „Samen“ und Siegeln, die bei den Indern und
Ägyptern, jene von den „Fravasay“ oder „Fravurti“ („Feruer“), die bei den Ira-
niern, von den „Folgegeistern“, die bei den Germanen, von den „Genien“, die
bei den Römern herrschte, läuft auf die Grundvorstellung der Ideen hinaus. „Bei
den Orphikern entsteigt dem Welt-Ei Phanes = Pan, der das prägende Siegel des
Alls, also die Welt der Gestalten in sich faßt; in der Mysterienlehre erzeugen
Phanes und Kore die Siegel von der Form des Mutterleibes, in welchem Symbol
sich ihre Beziehung auf Erneuerung des Lebens deutlich ausspricht.“
3
D i e
I d e e n l e h r e i s t d a h e r i n i h r e m G r u n d g e d a n k e n n i c h t
n e u , von Platon nicht eigentlich „erfunden“ worden. Platon übernahm in ihr ur-
altes religiöses Lehrgut, ja eine Selbstverständlichkeit mystischen Weltempfindens.
1
Siehe sogleich unten S. 211 f.
2
Näheres siehe unten S. 215.
3
Otto Willmann: Geschichte des Idealismus, 2. Aufl., Braunschweig 1907,
S. 477. — Vgl. auch mein Buch: Der Schöpfungsgang des Geistes, 2., durchgesehene
Aufl., Graz 1969, S. 393 ff., 396 ff. und 424 ff. (= Gesamtausgabe Othmar Spann,
Bd 10).