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[192/193]

a b e r s o f e r n s i e i n a l l e r B e w e g u n g b e i s i c h

s e l b s t b l e i b t ,

z u -

g l e i c h b e h a r r e n d e r W e s e n s g r u n d d e r D i n g e .

2 . D i e L e h r e v o n d e n v i e r E r s t h e i t e n (Prinzipien), wie sie

im „Philebos“ entwickelt wird, gehört ebenfalls in die Seinslehre: Unbestimmtes

(

άπειρον

),

Bestimmtes

(

πέρας

,

Grenze, Begriff, Idee), das Gemischte

(

μικτον

),

nämlich das konkrete Ding

(

ούνολον

bei Aristoteles) und endlich die oberste

„Ursache“

(

αιτία

),

Gott.

Der Lehrgehalt dieser Unterscheidung dünkt uns außerordentlich groß. Im Be-

griffe des Unbestimmten (Apeiron, das ist Chaos) liegt unseres Erachtens der

Schlüssel für die später im „Sophistes“ entwickelte Lehre, daß auch das Nichtseiende

sei. Denn obzwar dieses Unbestimmte an sich nicht zum Sein kommen kann,

kommt es dazu doch mittelbar, nämlich durch das Bestimmtwerden seitens der

Idee, das „Aufnehmen“ der Idee.

Ähnlich ist die Lehre vom Sein als einem V e r m ö g e n , die ebenfalls später

im „Sophistes“ entwickelt wird, durch die Stellung, welche hier der Begrenzung, das

ist der Idee, zugeteilt wird, verständlich. Die Idee ist als das seiende Sein dasjenige,

was dem Unbegrenzten zum Sein verhelfen kann, dasjenige, was vom Standpunkte

des sinnlichen Seins aus, dem Vermögen nach ist. Die ausdrückliche Unterschei-

dung allerdings, nämlich daß in der Idee das tätige oder schaffende, im Un-

begrenzten das erleidende oder empfängliche Vermögen liegt, anders gesagt, in der

Idee das t ä t i g e V e r m ö g e n oder die aktive Möglichkeit, im Stoffe die

e r l e i d e n d e M ö g l i c h k e i t — diese Unterscheidung findet sich allerdings

bei Platon in seinen Schriften nicht. Die bewegte Wirklichkeit, die „Bewegung“

des Aristoteles, endlich findet sich bei Platon im Begriffe des „Gemischten“.

Als Ergebnis steht fest: daß die Lehre vom Sein als Vermögen und als Wirk-

lichkeit (Potenz und Actus), die bei Aristoteles und den Aristotelikern eine so

große Rolle spielt, obwohl im „Sophistes“ wie auch im „Philebos“ bereits klar

vorgebildet ist — e i n e E i n s i c h t , d i e d e r h e u t i g e n A r i s t o t e l i k

f e h l t .

3 . D i a l e k t i k . Der große Gedanke des „Sophistes“, daß auch das Nicht-

seiende verhältnismäßig sei, wird von Platon auf folgende Weise zur Gegensatz-

lehre oder Dialektik gewendet: J e d e r B e g r i f f k a n n a l s v o m a n -

d e r n v e r s c h i e d e n , d a m i t a b e r a l s d i e S e i t e e i n e s G e g e n -

s a t z e s u n d d a m i t e n d l i c h a l s S e i e n d e s u n d N i c h t s e i e n -

d e s z u g l e i c h a u f g e f a ß t w e r d e n . Zum Beispiel ist das Kleine = das

Nicht-Große und das Große = das Nicht-Kleine. Allgemeiner: Schon in der

Ideenwelt hat die Idee Bestimmtheit, daher nimmt die bestimmte Idee A nicht

das Non-A in sich auf, zum Beispiel die Idee des Lebens nicht die Idee des Todes.

Daher ist zu unterscheiden zwischen dem Sichselbstgleichsein (Identität) der Idee

und ihrer Anderheit, dem, was sie ist, und dem, was sie nicht ist. Der Gegen-

satz, die Anderheit, ist das relativ Nichtseiende. In diesem Sinne ist auch das

Nichtseiende.

Im Denken tritt dieses Gegensätzliche überall hervor. Denken ist Dialog, Selbst-

gespräch, Widerspruch, Einwand. Alle Denklehre, alle Geisteslehre wird so

dialektisch.

/

In der Dialektik erscheint die früher schon berührte Lehre von der Vereinbar-

keit und Unvereinbarkeit („Diairesis“) der Gattungen sowie die damit zusam-

menhängende Grundlegung einer ontologischen Logik und Kategorienlehre von

einer andern Seite her wieder

1

.

1

Siehe oben S.

213

f.