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auf welche jene Bilder hindeuten. Eine Wendung wie „ d i e S e e l e n ä h r t

s i c h a n d e r S c h a u („Theorie“ heißt Schau, Betrachtung) des W a h -

r e n“, deutet nicht auf eine äußere Schau, welcher der Gegenstand fremd bleibt,

sondern auf eine innere, die mit dem Geschauten eins ist. Sie deutet darauf hin,

daß der menschliche Geist in Schau und Versenkung seine höchste Wirklichkeit

findet. Eingebung (eine Art von Versenkungszustand) ist also die Nahrung der

Seele, ohne sie lebt sie in totenähnlichem Schlummer (so auch das Höhlengleich-

nis

1

). — Die andere Wendung „und läßt sich daran Wohlsein, bis der Umschwung

im Kreise“ vollendet ist, deutet darauf hin, daß es beim Schauen nicht bleiben

könne, daß der Mensch nicht im Schauen lebe, sondern das Geschaute im Han-

deln verwirklichen muß. Und selbst die Götter wirken ja! Kühn ist der Satz, daß

auch „ d e r G o t t h e i t G e i s t v o n V e r n u n f t u n d u n g e t r ü b t e r

W i s s e n s c h a f t s i c h n ä h r t “ — also: G o t t l e b t i m S c h a u e n , eine

Lehre, die wir in dem berühmten „D e n k e n d e s D e n k e n s “ d e r G o t t -

h e i t d e s A r i s t o t e l e s w i e d e r f i n d e

2

, woran die Aristoteles- und

Platonphilologie bis heute merkwürdigerweise vorüberging!

Noch merkwürdiger aber ist es, daß der K a r d i n a l p u n k t d e r

I d e e n l e h r e , d i e m y s t i s c h e S c h a u a l s i h r e E r l e b n i s g r u n d -

l a g e , b i s h e r n i c h t e r k a n n t w u r d e .

Eine weitere Schilderung der Idee gibt Platon unter anderem im „Timaios“, wo

die Sinneswelt

(

αίσθητά

)

und Geisteswelt

(

νοούμενον)

einander entgegengestellt

werden. Letztere ist „die stets auf dieselbe Weise sich verhaltende Idee

(

είδος

),

unerzeugt und unvergänglich, weder in sich selbst ein anderes anderswoher auf-

nehmend, noch selbst in ein anderes wohin eingehend, unsichtbar und auch sonst

mittelst der Sinne nicht wahrnehmbar, dasjenige, was der vernünftigen Betrach-

tung übertragen“

3

, ferner das „schlaflose Wesen“

4

, also immer bei sich seiend,

immer wach.

δ.

Jenseitigkeit und Einwohnung der Ideen. Gott und die Ideen

Hält man sich den religiösen Ursprung und die Eingebungsgrundlage der

Ideenlehre vor Augen, so erscheinen manche ihrer begrifflichen Denkaufgaben in

einem anderen Lichte, insbesondere auch die Frage der Jenseitigkeit und Einwoh-

nung, das heißt der Transzendenz und Immanenz der Idee im Verhältnis zu den

Dingen. Denn die die Welt durchwaltenden Gottheiten sind ebensowohl selb-

ständig wirkende Wesen, nämlich der Welt gegenüber, wie sie zugleich / in der

höchsten Allgottheit, in Zeus, enthalten und gleichsam seine Potenzen oder Emana-

tionen sind.

Eben dieselbe hierdurch zu behebende Schwierigkeit wiederholt sich in den

Platonischen Bestimmungen, welche das Verhältnis Gottes zur Idee behandeln. Im

„Timaios“ (28 c) blickt Gott auf die Urbilder

(

παραδείγματα

),

wonach also die

Ideen außer ihm bestünden. Der begriffliche Sinn ist aber, daß Gott nach Zwecken

wirkt

5

. Diese Zwecke müßten dann in Gott, die Ideen müßten seine G e d a n -

1

Siehe unten S. 218 ff.

2

Siehe unten S. 239.

3

Platon: Timaios, 51 c, f.

4

Platon: Timaios, 52 b.

5

Vgl. Platon: Timaios, 3 a bis 32, 44, 47 ff.