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Seele bringt den Körpern das Leben, sie kann daher selbst den Tod nicht in sich

aufnehmen. Aus dem ganzen Zusammenhange geht hervor, daß hier die Seele wie

die anderen Ideen behandelt wird

1

. Auch ist die Seele gottverwandt

2

, also Idee.

5.

Hiermit sind alle Grundbegriffe entwickelt, auf welchen die E r k e n n t -

n i s t h e o r i e Platons beruht. In Kürze läßt sich diese folgendermaßen bezeich-

nen: Die Grundbegriffe der Erkenntnis sind dem Menschen angeboren, aber nicht

als fertig bereitliegende Inhalte. Vielmehr müssen diese erst von der äußeren

Sinneserfahrung geweckt werden. In ihrem Vorleben hat die Menschenseele die

Ideen geschaut und kann jetzt durch die Sinneswahrnehmungen dazu gebracht

werden, sich ihrer zu e r i n n e r n . Denn

3

in der Behauptung zum Beispiel,

daß zwei Stäbchen „gleich“ seien, lege ich ihnen den Begriff der Gleichheit zu-

grunde (Hypothesis, Unterstellung). Wie komme ich aber dazu? Jeder einzelne

Stab hat nichts von „Gleichheit“ an sich. Um zur „Gleichheit“ zu kommen, muß

sich unser Verstand vielmehr aus der Vielheit der Sinneswahrnehmungen (in de-

nen „Gleichheit“ nicht enthalten ist) „in die Ideen (

λόγοι

) zurückziehen und in

ihnen das wahre Sein erforschen“

4

. Von den Eigenschaften der Dinge kommt

daher der Verstand, indem er sich in sich zurückzieht, zur „Erinnerung“ (Ana-

mnesis), zu einer Wiedererweckung der Ideen in sich selbst, zu einer inneren

Schau der Ideen, gleichsam einem Tiefenleben des Geistes. Auf der inneren

Wiedererweckung der Ideen beruht die Erkenntnis der Außenwelt, insoferne als

— so können wir es neuzeitlich ausdrücken — mit den erweckten Ideen das für

die Außendinge G e l t e n d e in uns erweckt wird. Das Gewisse in unserer

Erkenntnis ist Ideenerweckung, Ideenschau. „Ich habe nichts, was mir so sicher

wäre, als daß all dieses, das Schöne, das Gute und das Übrige in höchstem Maße

ist“

5

. — Darum die Sicherheit der Erkenntnis durch den Allgemeinbegriff, dessen

Gegenstand die Idee, genauer: dessen Grundlage die i n n e r e I d e e n e r -

w e c k u n g ist; und die Unsicherheit der sinnlichen Wahrnehmungserkenntnis,

welche nach Platon nur „M e i n u n g “ ist

6

. W a h r h e i t ist nach Platon

die Übereinstimmung mit dem Sein, Unwahrheit die Abweichung vom Sein

7

.

Aus dem Angeführten ist zu folgern, daß nach Platon, ähnlich wie bei Fichte,

Schelling, Hegel, Baader, die E r k e n n t n i s d e r I d e e n a u s u n s

s e l b s t g e s c h ö p f t w e r d e . In diesem Sinne finden wir das Selbsttätige,

Bewegte des deutschen Idealismus auch bei Platon. Die Anamnesislehre beruht auf

Selbstvertiefung der Seele, wie schon früher berührt wurde.

β.

Das Höhlengleichnis

Weiter ausgeführt ist in der öffentlichen Lehre dieser Punkt nicht. Daß er auf

die m y s t i s c h e V e r s e n k u n g hinweist, ist unverkennbar. Denn die Be-

din- / gung für die „Erinnerung“ an die Ideen ist jene Tätigkeit der Seele, die

von Platon überall als ein Zurückziehen aus der Zerstreuung, eine Sammlung,

Selbstvertiefung geschildert wird

8

. Im „Gastmahl“ (210 f.) wird der Weg zur

1

Vgl. Platon: Phaidon, 102 b ff.

2

Platon: Theaitetos, 176 b; Philebos, 3 1 a .

3

So heißt es im Phaidon, 19 c.

4

Platon: Phaidon, 99 e.

5

Platon: Phaidon, 77 a.

6

Siehe oben S. 203.

7

Platon: Sophistes, 263 b.

8

Platon: Theaitetos, 79 c.