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In diesem Gleichnisse offenbart sich die göttliche Meisterschaft Platons. Dem

Außenstehenden gibt es ein bloßes Bild der Ideen-, Erkenntnis- und Sitten-

lehre; aber dem Eingeweihten schildert es, was sonderbarerweise bisher nicht

bemerkt wurde, den Weg m y s t i s c h e r V e r s e n k u n g u n d d e r

R ü c k k e h r a u s i h r i n d i e W e l t . Die Sonne bedeutet Gott. Und die

Seele, die sein Licht geschaut, kann sich in dieser — schon von den Pythagoreern

mit einer Höhle verglichenen — Welt nicht mehr leicht zurechtfinden.

Abermals zeigt uns dieses Gleichnis Platon als Ekstatiker und beweist uns

ganz allein die mystisch - r e l i g i ö s e n Wurzeln seiner Ideenlehre.

Die e k s t a t i s c h e E r f a h r u n g i s t d e r S c h l ü s s e l s e i n e r g e -

s a m t e n P h i l o s o p h i e .

γ. Gesellschafts-, Staats- und Sittenlehre

Platons Sittenlehre ist durch das gekennzeichnet, was wir den Vorrang der

Gemeinschaft nennen können, nicht von der Sittlichkeit des Einzelnen — weder

der Nützlichkeit oder auch dem kategorischen Imperativ, dem subjektiven Apriori

wird ausgegangen, sondern von dem Lebensinhalte der Gemeinschaft. Erst aus

diesem folgen, so können wir Platon erläutern, die sittlichen Forderungen, die an

den Einzelnen als an das Glied der Gemeinschaft gestellt werden.

Kaum eine andere Frage beschäftigte Platon so nachhaltig als die nach der

Gerechtigkeit an sich: die I d e e der Gerechtigkeit ist es, was den gesamten

Lebensinhalt der Gemeinschaft, als des Staates, bestimmt. Von der I d e e n -

l e h r e h e r i s t d a h e r P l a t o n s g e s a m t e G e s e l l s c h a f t s - , S e e -

l e n - u n d E r z i e h u n g s l e h r e z u b e g r e i f e n , nicht aber von sub-

jektiv-psychologischen Gesichtspunkten aus, wie die herrschende Auslegung will.

Den einfachsten Überblick über die Gliederung und den Hauptinhalt der Lehre

gewährt die folgende Tafel, welche man aus Platons „Staat“ herauslesen kann

1

.

Die Idee der Gerechtigkeit (hegelisch zu sprechen, der „objektive Geist“) gliedert

sich zuerst aus in die großen Leistungszweige des gesamten Gemeinschaftslebens

(des „Staates“ im weiteren Sinne) oder seiner Stände:

Leistungszweige oder

S t ä n d e des Staates:

Herrscher Wächter oder Krieger Wirtschafter

(άρχοντες)

(φύλακες)

(δημιουργοί)

/

Dem entsprechen dann die Anforderungen, die an die Staatsglieder, die ein-

zelnen Menschen, gestellt werden, in der Form von

T u g e n d e n :

Weisheit

Tapferkeit Besonnenheit oder Mäßigkeit

(φρόνηοις,

σοφία)

(άνδρεία)

(σωφροσύνη)

Gesamtheit aller Tugenden:

= jeder hat das Seinige zu tun

(ο

ικειοπρ αφγια =

suum cuique) = G e r e c h -

t i g k e i t

(δικαιοσύνη),

zugleich die vierte Tugend.

Diese Tugenden werden erlangt durch den reinen und harmonischen Gebrauch

der

T e i l e o d e r V e r m ö g e n

Geist

Gemüt

Begehren

der S e e l e :

(νούς)

(θυμοειδές) (έπΐθυμητικόν)

1

Das folgende zum Teil nach meinen Büchern: Gesellschaftslehre, 4., durch-

gesehene Aufl., Graz 1969, S. 57 f. (= Gesamtausgabe Othmar Spann, Bd 4);

Gesellschaftsphilosophie, 2., durchgesehene Aufl., Graz 1968 (= Gesamtausgabe

Othmar Spann, Bd 11).