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[202/203]

3. B e u r t e i l u n g

Vor Platons Philosphie verwandelt sich jeder Einwand in Be-

wunderung. Sie lehrte eine geistige Auffassung der Welt, die vor

ihm im Abendlande nicht erreicht und nach ihm nicht übertroffen

wurde. Sie sprach alle Grundgedanken reiner Weisheit aus und

brachte sie, wenn nicht in strenge Begriffe, so doch in unsterbliche

Sinnbilder.

Die hohe Gottesvorstellung; die Lehre von den Ideen als ver-

mittelnder Gewalten göttlicher Art; die Lehre von der Ideenbe-

stimmtheit der Natur und doch zugleich ihrer Vergänglichkeit, ja

des dunklen chaotischen Grundes, auf dem sie sich erhebt; die

Lehre von der geistigen Dialektik des Seins; die Lehre vom Wesen

des menschlichen Gemeinschaftslebens und der Tugend — sie alle

sind aus der Tiefe geschöpft und für die Ewigkeit geschaffen.

Dies bedacht, versteht man, daß Platon nach dem Christentume

die größte geistige Macht des Abendlandes wurde. In der Antike

wirkte sie bis zuletzt in Gestalt des Neuplatonismus, an der Schwel-

le des Christentums durch die Kirchenväter und die ältere Schola-

stik, im Hochmittelalter noch durch den Aristotelismus hindurch,

welcher, wenn auch eine Abschwächung, so doch auch eine Fort-

bildung des Platonismus ist, im deutschen Idealismus endlich war sie

eine unentbehrliche, bildende Kraft.

Seit der Aufklärungszeit wird zwar Platons Weisheit noch mit

Achtung genannt, aber sie galt und gilt auch heute zum Teil nur als

dichterische Schwärmerei. Indessen, womit sonst könnte man dem /

platten Empirismus darauf antworten als mit dem Rate, in sich zu

gehen und Kräfte jener Schau zu erwecken, welche die Platonischen

Lehren in ihrer Echtheit faßt? Platon selbst wußte um dieses sein

Verhältnis zur Welt nur zu gut und antwortete mit dem Gleichnis,

das im „Theaitetos“ erzählt wird: von Thaies, der nach den Sternen

schaut und dabei in den Brunnen fällt, wofür er von einer barbari-

schen Magd verspottet wird (174 a). Auch am Schlusse des Höhlen-

gleichnisses wird der Zustand jener angedeutet, die aus der Ideen-

schau in diese Welt zurückkehren.

Freilich fehlt es nicht an Unfertigkeiten und sogar an Wider-

sprüchen in den Schriften Platons. Aber teils handelt es sich dabei

wohl um Mängel der Überlieferung, insbesondere um unsere Un-