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im „Sophistes“ von der rein logischen Seite her, der Gliederung der

Ideenwelt, dahin entwickelt: daß jede Idee, jeder Begriff, als S e i t e

e i n e s G e g e n s a t z e s und damit als Seiendes und Nichtseien-

des zugleich aufzufassen sei. Zum Beispiel ist das Kleine das Nicht-

große, ist also als Kleines seiend und als Nichtgroßes ebenfalls,

aber / in verneinendem Sinne. Hier ist also, um es zu wiederholen,

von der logischen Seite her nochmals der tiefsinnige Nachweis ver-

sucht worden: daß das Verneinende, Unlogische zur Wirklichkeit

gehöre und ohne diese Seite kein Wirkliches denkbar sei. Der große

Unterschied des „Sophistes“ vom „Philebos“ scheint mir aber darin

zu liegen: daß dieses Bestimmungslose und Verneinende nun nicht

nur dem Gemischten, der sinnlichen Wirklichkeit, sondern auch der

Ideenwelt notwendig zukomme.

Wir rühren mit diesen Gedankengängen an die tiefsten Fragen

des menschlichen Lebens und Wissens. Wenn Platon nicht zu zeigen

vermochte, wie das Logische zum Unlogischen, die Idee zum Apei-

ron, die Bestimmung zum Bestimmungslosen komme; und wenn

er weiter nicht zeigte, wie die Unterschiede in der Ideenwelt, die

ein Verneinendes, weil Ausschließendes enthalten, sich zur stofflich-

sinnlichen Wirklichkeit fortsetzen, wie mit einem Worte die Ma-

t e r i e Ergebnis dieser Unterschiede sein könne; während ande-

rerseits die Ideenwelt rein logisch keine Kraft zu ihrer Verwirk-

lichung erkennen läßt — wenn Platon alle diese Fragen mehr an-

deutete als löste, so ist das kein Mangel von gewöhnlicher Art, son-

dern mehr noch dürften hier die Grenzen menschlicher Weisheit

erkennbar sein.

Schelling, angeregt durch Jakob Böhme, entwickelte im Hinblick auf diese Fra-

gen später die Lehre, ein „dunkler Urwille“, ein „dunkler Grund“ sei die letzte

Basis allen Daseins, das demnach eine irrationale Setzung, keine bloß logische

Eigenschaft eines Wesens sei. Und dieser Urgrund, gleichsam das Urbild der Ma-

terie, wurde von Schelling in die Gottheit selbst verlegt.

In Platons Begriff der Materie sehen wir den V o r t e i l , daß

sie, sowohl als „Aufnehmerin“ der Ideen („Timaios“, „Philebos“)

wie als Fortsetzung der Differenzen in der Ideenwelt („Sophistes“)

aufgefaßt, nicht nichts sei, aber doch die wahre Wirklichkeit nur in

der Idee, im Geistigen liege, das sich in der Materie darstellt. Da-

durch entsteht ein absolutes Übergewicht des Geistigen und ist ins-

besondere die Unsterblichkeit der Seele begründet.