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sei; welche trotz allen Wechsels doch als sich selbst gleichbleibende
Wesenheiten sich in der Welt darstellen, als intelligible Wesenhei-
ten, Gesichte oder Ideen begrifflich gefaßt zu haben.
Damit begründete Platon eine für alle Zeiten gültige Erkenntnis,
die Erkenntnis, daß das ein Lebewesen und Ding Bestimmende, das
zugleich Individuelle wie Allgemeine, nicht durch Anhäufung der
Teile entstehe; und daß das Allgemeine nichts abstrakt Erdachtes,
vielmehr die höhere Wirklichkeit gegenüber den Einzelwesen sei.
Die Idee ist ihm kein „verdinglichter Allgemeinbegriff“, wie man
heute fälschlich behauptet, sondern übersinnliche Wirklichkeit, als
solche sinnliches Sein begründend! Der ekstatische Ursprung und
Sinn des Ideenbegriffes läßt auch die Fragen der „Teilnahme“ und
„Jenseitigkeit“ in eigenem Lichte erscheinen
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Neben diese ontologische tritt die e r k e n n t n i s t h e o r e t i -
s c h e Seite des Ideenbegriffes. Der erkennende Teil der Einzel-
seele, der Geist
(νούς)
nur kann das Geistige der Wesen, die
Ideen, erkennen — am eigentlichsten in der Versenkung! Hier
bricht Platon ab und gibt uns das Bild der vorweltlichen „Erinne-
rung“ (Anamnesis) statt des strengen Begriffes der Erkenntnis. Doch
dürfen wir als den großen Grundgedanken erschließen, daß der
menschliche Geist, der eine Idee ist, die anderen Ideen in sich be-
f a s s e und der Vorgang der Erkenntnis daher grundsätzlich darin
bestehe, aus dem Inneren des Menschen selbst die Erkenntnisse her-
aufzuholen, sie, die schon in ihm schlummern, in sich selbst zu er-
w e c k e n . Daß in solcher Erweckung der letzte Sinn jedes Aprioris
und jeder Selbstsetzungslehre liege, berührten wir schon in früheren
Zusammenhängen.
Der Satz „Gleiches wird durch Gleiches erkannt“, wäre demnach
in der Sprache unserer Ganzheitslehre zu erläutern durch den Satz:
Befaßtes wird durch Befassendes erkannt.
Übrigens ist die Unmöglichkeit, über die Annahme des Allge-
meinen (der Idee), schon allein vom Standpunkte der Logik aus
hinwegzukommen, klar nachweisbar. Denn gäbe es nur Einzelwesen
und wären die Allgemein- oder Gattungsbegriffe nur „Namen“,
zweckmäßige Abkürzungen (wie die Nominalisten und Empiristen
sagen), dann könnte ihnen keine Wahrheit zukommen, dann wäre
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Siehe oben S. 212 f., unten S. 233.