Table of Contents Table of Contents
Previous Page  5913 / 9133 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 5913 / 9133 Next Page
Page Background

[204/205]

229

rigkeiten, die / sich hier ergeben. „Beim Zeus!“ ruft er daher im

„Sophistes“ aus, „sollen wir uns überreden lassen, daß Bewegung,

Leben, Seele und Einsicht

(

φρόνησις

)

dem auf vollkommene Weise

Seienden

(

τω παντλέως όντι

) in Wahrheit nicht zukomme?“

1

Er stellte damit die Denkaufgabe: das Eine und das Viele, das

Jenseitige und das Einwohnende, das absolut Seiende und das Ver-

änderliche, das in sich Ruhende und das sich Bewegende zu ver-

einigen. Im „Sophistes“ und „Parmenides“ suchte er sie zu lösen.

Es ist richtig, daß er die Eleaten und Heraklit vereinigte, indem er

zeigte: das V i e l e s e i n i c h t d e n k b a r o h n e d a s

E i n e . Aber möglich war ihm dies nur auf dem Grunde der My-

s t i k . Ohne diese ist Platon nirgends zu verstehen. — Die hiermit

begründete „D i a 1 e k t i k“

2

faßte das Sein als Geist, ideenhaft,

und war damit zugleich Ontologie und Logik, ebenso wie später bei

Hegel, der sein ontologisches Hauptwerk „Logik“ nannte.

Damit berühren wir einen Hauptgedanken der Seinslehre Platons,

der in verschiedener Form eine Grundlage jeder Metaphysik ist: der

Gedanke, daß das Nichtseiende in gewissem Sinne sei. Die Wurzel

dieses Gedankens erblicke ich in der Lehre, daß das Apeiron nicht

völlig durchformt sei

3

. Sei dem, wie ihm wolle, in der Unterschei-

dung von vier Prinzipien im „Philebos“ (das Unbestimmte, das Be-

stimmende, das Gemischte, die Ursache oder Gott) liegt notwendig

die ernste Lehre: daß das Unbestimmte, die M a t e r i e , n i c h t

s c h l e c h t h i n n i c h t s e i , s o n d e r n v i e l m e h r z u m

A u f b a u d e r W i r k l i c h k e i t u n e n t b e h r l i c h . Denn

die Wirklichkeit unserer Erfahrung ist nach Platon ein Gemischtes,

in ihr kann daher das Bestimmungslose, Unlogische, Verneinende,

Dunkle nicht entbehrt werden. Und gerade der „Philebos“ ist ja

dem Nachweise gewidmet, daß ein Leben der bloßen Einsicht, ohne

Lust, nicht gelebt werden könne, daß daher die Lust, die an sich

selbst maßlos (weil nur als größer und kleiner faßbar) ist, auch im

geistigsten Leben nicht entbehrt werden könne

4

. Hat man sich ein-

mal mit dieser Lehre vertraut gemacht, dann findet man sie auch

1

Siehe oben S. 215.

2

Platon: Sophistes, 253 d.

3

Platon: Philebos, 30 c.

4

Ähnliches stellen die altindischen Upanishaden „Sein, Denken und W o n n e“

zusammen. — Vgl. z. B. Taittiriya-Upanishad, 2, 1, nach Paul Deussen: Sechzig

Upanishad’s des Veda, 3. Aufl., Leipzig 1921, S. 228.