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Geistes darzustellen, bekanntlich durch die uns von Fichte her vertraute Fort-
schreitung der Gegensätze in Verneinungen: +, —, ± Thesis, Antithesis, Syn-
thesis; Setzung, Entgegensetzung, Ineinssetzung, zu lösen. Bei Platon ist ein stren-
ger Grundsatz der Bestimmung der Gegensätze im Reich der Ideen nicht ersicht-
lich, doch sind Ansätze zu einer solchen G e g e n s a t z l e h r e vorhanden. Pla-
ton prägt für diesen Gegensatz den Ausdruck der „Unterscheidung“,
διαίρεσις,
das heißt (wie wir mit den Begriffen unserer Ganzheitslehre sagen würden) der
A u s g l i e d e r u n g .
Daß der ausschließende G e g e n s a t z in Wahrheit erst auf Grund von
Fehlausgliederung, nicht aber wesensgemäß der Beweger des Werdens, der Um-
gliederung ist, habe ich an anderer Stelle nachgewiesen
1
.
Den klassischen Versuch der Ableitung des Weltinhaltes gab Hegel
2
.
Noch weniger als die innere Entfaltung der Ideenwelt wurde von Platon ihre
Entfaltung in der Zeit, das heißt die G e s c h i c h t e des Geistes dargestellt.
Diese Aufgabe haben spätere Philosophien mit größerer Kraft zu lösen versucht,
obenan Schelling und Hegel, welcher die Erklärung der zeitlichen Entfaltung,
das heißt die G e s c h i c h t s p h i l o s o p h i e , als Krönung des Begriffs-
gebäudes der Philosophie erklärt. Doch wird darauf erst später zurückzukommen
sein.
Z u s a t z
Die wiederholt von uns zurückgewiesene Auffassung der Ideen als „hyposta-
sierter Begriffe“ führte zu dem Irrtum Eduard Zellers und anderer, der G e g e n -
s a t z v o n N a t u r u n d G e i s t , O b j e k t u n d S u b j e k t , sei in der
griechischen Philosophie noch nicht offenbar geworden! Versteht man die Ideen
religiös, so findet man schärfer als im „Philebos“ und „Timaios“ den Gegensatz
von Geist und Materie, den Bruch zwischen Subjekt und Objekt nirgends mehr
analysiert. Überhaupt muß jede mystisch begründete Philosophie diesen Bruch voll-
ziehen !
d. Gesellschaftslehre
Platon durchschaute die Hohlheit der individualistischen Gesell-
schafts- und Staatslehre der Sophisten, er durch- / schaute auch die
Demokratie seiner Zeit bis auf den Grund und erkannte, daß sie
rettungslos zum Kulturtode führe. Ihr gegenüber verlangte er eine
geistig geleitete Gesellschaft. Als die Haupteinwände, die man gegen
seinen Entwurf machte, kann man die Fragen bezeichnen: Ist Pla-
tons Staat eine Utopie? Wird in seinem Staate das Individuum ver-
nichtet?
P l a t o n s S t a a t i s t g r u n d s ä t z l i c h k e i n e U t o p i e . Sein Ent-
wurf war ja aus der Geschichte und Gegenwart seines Zeitalters genommen, aus
dem spartanischen, kretensischen, ägyptischen, auch zum Teil persischen Staate.
Im mittelalterlichen Staate und besonders im Staate des deutschen Ritterordens,
sehen wir annähernde Verwirklichungen auf christlicher Grundlage. Daß andrer-
1
Vgl. meine Geschichtsphilosophie, Jena 1932, S. 210 ff. und öfter (= Er-
gänzungsbände zur Sammlung Herdflamme, Bd 2).
2
Siehe unten S. 282 ff.