234
[209/210]
Nach unserer Ganzheitslehre müßte sich die Ideenwelt nach einer A u s g
1
i e -
d e r u n g s o r d n u n g scheiden, das heißt (1) nach einer Hierarchie von Stufen,
(2) nach einem System von Teilinhalten. Unter Stufen verstehen wir den Stock-
werkbau der Gattungen und Arten. Die höhere (allgemeinere) Stufe, zum Beispiel
Tiere, gliedert sich jeweils zu niederen (besonderen) Stufen, zum Beispiel Säuge-
tier, Raubtier, aus. Nur von S t u f e n k a n n e s I d e e n g e b e n . Denn
nur die Stufen sind subjektartige Wesenheiten, wie zum Beispiel die Tierheit,
deren
Unterganzheiten
wieder
die
Säugetierheit,
deren
Unterganzheiten
wieder die Raubtierheit, Huftierheit und so fort sind; die Teilinhalte dagegen
sind die allgemeinen Eigenschaften, welche vielen Ganzheiten (Ideen) zukom-
men, das heißt deren Aktionsweisen sind. Zum Beispiel die Eigenschaften der
Säugetiere: haben Gleichwärmigkeit, atmen durch Lungen, bringen lebendige
Junge zur Welt und so weiter. Es kann nun nicht die Idee Säugetierheit (Stufe)
und die Idee „Gleichwärmigkeit“ (Teilinhalt) geben. Letztere ist nur eine Ak-
tionsweise, eine Eigenschaft der Säugetierheit. Die Stufen, das heißt die Gattun-
gen, Familien, Arten, sind, so können wir auch sagen, das K o n k r e t - A l l -
g e m e i n e , Subjektartige, und von diesem gibt es Ideen; die Teilinhalte da-
gegen, das auf vielen Stufen auftretende A b s t r a k t - A l l g e m e i n e und von
diesem, vielen Wesenheiten angehörenden kann es nicht nochmals Ideen geben.
Nähme man von den allgemeinen Eigenschaften — wie etwa: weiß, groß, kurz-
lebig, tugendhaft — auch Ideen an, so stürzte man den Ideenbegriff in ein Chaos.
Gegen Platon ergibt sich also, daß es nur von den Stufen der Ganzheiten,
das heißt vom Stockwerkbaue der Gattungen und Arten, also von S u b j e k t -
a r t i g e n W e s e n h e i t e n , Ideen gebe. Auch das ist auf geistige und orga-
nische Wesen beschränkt, denn vom Anorganischen, der Materie, kann es keine
Ideen geben, da echte Ganzheiten auf materiellem Gebiete nicht bestehen.
Beachtet man den Unterschied von Stufe und Eigenschaft (Teilinhalt), dann ist
auch die Schwierigkeit der platonischen Ideenlehre gebannt: das i n d i v i d u e l l e
S e i n zu erklären. Denn jede Stufe, auch die höhere, allgemeine ist zugleich
konkret, individuell. Nur die Teilinhalte sind abstrakt-allgemein.
/
δ. Reich der Ideen. Ableitung des Inhaltes der Welt
Ein großartiges Lehrstück, das aber Platon nicht zu Ende führte,
ist die Lehre von der Gliederung oder „Gemeinschaft der Ideen“,
der
κοινωνία
των γενών
1
1
.
In der Dialektik und Diairesislehre
Platons sind dazu Ansätze vorhanden, indem Platon vom Gegen-
sätze und der Verschiedenheit (
διαίρεσις
, Scheidung) aus die Aus-
gliederung der Ideen und damit die Begründung des Mannigfaltigen
in der Welt zu untersuchen fordert.
Ist die Welt ideendurchwaltet, ist sie Geist, dann muß man die Setzungsschritte
des Geistes auch in einem großen Gesamtentwurfe nachbilden, a b
1
e i t e n kön-
nen — so sagte sich der deutsche Idealismus! Auch Platon scheint sich diese Frage
mehr und mehr vorgelegt zu haben, je mehr er in der logischen Ausarbeitung
seines Gedankenbaues fortschritt, wie uns vor allem der „Sophistes“ beweist. —
Schelling und Hegel versuchten die Aufgabe, die innere Entfaltung der Welt des
Platon: Sophistes, 252 a ff.