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[214]

239

ken und Gedachtes dasselbe. Mithin denkt Gott (wie bei Platon

1

)

sich selbst, wenn anders er das Vollkommenste ist, und sein Denken

ist „des Denkens Denken“ (

νοήσεως νόησις

2

). Denken des Denkens

ist aber Selbstbewußtsein. Darum ist Gott selbstbewußter Geist

(νούς).

Sein Selbstdenken geht nicht schrittweise in der Zeit vor sich,

sondern im Ganzen, es ist Schauen, ein einziger Blick des Schauens,

durch die ganze Ewigkeit

3

.

Indem Gott sich selbst denkt, bringt er die Welt hervor. Er ist

nicht bloß Ordner eines vorhandenen, sondern Ursache alles

Seins

4

. Da Gottes Selbstanschauen ewig ist, bringt er auch die Welt

ewig hervor.

Indem Gott sich selbst schaut, ist er allweise, allerkennend. Das

Denken seiner selbst ist nicht bloß Denken, sondern auch Freude,

daher Liebe zu sich selbst. Als lautere Wirklichkeit,

ενέργεια

άπλούς

— von der Scholastik actus purus genannt — ist er imma-

teriell, Form ohne Stoff. Ferner schlechthin frei und zugleich voll-

endet, allmächtig. Inbegriff alles Guten, anfanglos, ewig. Gottes

Denken und Schauen ist Seligkeit. „Das Schauen

(θεωρία)

ist das Se-

ligste und Beste. Wenn nun hierin das höchste Glück besteht, wie

wir es zuweilen genießen, Gott aber immer, so ist es erstaunlich,

wenn in noch Höherem, so ist es noch erstaunlicher. So aber verhält

es sich. Aber auch Leben wohnt ihm inne. Denn des Geistes Tätig-

keit

(

νοός ενέργεια

)

ist Leben, jener aber ist Tätigkeit; in der

reinen Tätigkeit aber besteht sein höchstes und ewiges Leben. Wir

sagen daher, Gott sei ein ewiges, höchstes Lebendiges. Sonach

kommt Gott Leben und Ewigkeit ohne Unterlaß und Ende zu;

denn von dieser Art ist Gott.“

5

1

Siehe oben S. 212.

2

Aristoteles: Metaphysik, 1074 b, 33.

3

Aristoteles: Metaphysik, 1075 a.

4

Die überzeugenden Nachweise dafür, daß die aristotelische Gottheit als

erste schöpferische Ursache aller Dinge zu betrachten sei — gegen Eduard Zeller

und andere — bei Franz Brentano: Aristoteles und seine Weltanschauung, Leipzig

1911, S. 71 ff. Eine ähnliche Auslegung gab, mit Einschränkung, schon Johann

Ulrich Wirth in seiner mit Unrecht vergessenen geistvollen Skizze der Geschichte

der Philosophie (Johann Ulrich Wirth: Die spekulative Idee Gottes, Stuttgart

1845, S. 222 f.). — Zu dem p l a t o n i s c h e n U r s p r u n g e dieser Lehre,

der merkwürdigerweise bisher übersehen wurde, siehe oben S. 213.

5

Aristoteles: Metaphysik, 1072 b.