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[220]

das Ganze ist vor dem Teile

1

. Letzterer bedeutet die Grundlegung

einer Gefügelehre des Seins. Folgerichtig durchgeführt ergäbe er

meines Erachtens aber, daß nicht der Zweckbegriff, sondern die Be-

griffe der sinnvollen Ausgliederung und Rückverbundenheit das Ge-

füge der Welt bestimmen, wobei der Zweck erst als Abgeleitetes

erscheint, das heißt aus dem Gliederbaue der Ganzheit begriffen

wird

2

.

Als eine ontologische Unterscheidung, die der Einführung der

Bewegung in die Urgrundlehre entspricht, ist die strenge Trennung

der Abfolge der Erscheinungen dem W e r d e n nach und dem

W e s e n oder Begriffe nach hervorzuheben. Genetisch ist das Kind

vor dem Manne, begrifflich der Mann vor dem Kinde. Was dem

Werden nach das Letzte, ist nach Aristoteles dem Wesen oder Be-

griffe nach das Erste. Denn die Form (Idee) erscheint erst zuletzt,

ist aber latent schon vorher da.

3.

G e i s t e s l e h r e

a.

Erkenntnislehre und Logik

Die Erkenntnislehre und Logik des Aristoteles ist, wie bei Platon,

zunächst dadurch gekennzeichnet, daß die sinnliche Erfahrung kein

allgemeines Wissen vermitteln könne. Das Organ für das Einzelne

und Zufällige sind nach Aristoteles die sinnlichen Wahrnehmungen;

das Organ dagegen für das unmittelbar Gewisse, nämlich für den

Inhalt jener letzten Begriffe, die nicht mehr auf andere zurückge-

führt werden können, also die Prinzipien und Axiome (man denke

an den logischen Grundsatz des Widerspruches oder an Begriffe wie

Sein, Werden, Möglichkeit, Wirklichkeit), die nicht weiter abzu-

leiten sind

(άπλόα),

das Organ für diese ist der Geist, Nus, das

Höchste in der menschlichen Seele. Eine unmittelbare innere Erfah-

rung, ein unmittelbares Erfassen findet hier statt. Aber diese ersten

Grundlagen aller Beweise sind ihm nicht angeborene Begriffe, son-

dern liegen als Möglichkeiten in dem erkennenden Geiste und wer-

den entwickelt vermöge der sinnlichen Wahrnehmung, aus welcher

1

Aristoteles: Politik, I, 1, § 11 b.

2

Die Nachweise hiefür siehe in meinen Büchern: Kategorienlehre, 3., durch-

gesehene Aufl., Graz 1969, S. 50 ff. und 281 f. (= Gesamtausgabe Othmar

Spann, Bd 9); Der Schöpfungsgang des Geistes, 2., durchgesehene Aufl., Graz

1969, S. 38 ff. und 42 ff. (= Gesamtausgabe Othmar Spann, Bd 10).