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aber entsteht hier allerdings, wie schon bemerkt, ein Widerspruch.
Das Allgemeine tritt nicht mehr wie bei Platon als solches, nicht
mehr als ein Ansich dem Erkennen entgegen, vielmehr nur als
E i n z e l d i n g . Denn infolge der Einwohnung ist jede „Form“
schon mit den empirischen Einzelbestimmungen versehen, welche
sie durch ihre stoffliche Gestaltung (akzidentiell) erhält, anders ge-
sagt: sie tritt als Substanz / nur zugleich mit ihrem „Mitzufallen-
den“ (das ist den Akzidenzien) auf. Der Begriff hat daher das All-
gemeine
(κάθολον)
nach Aristoteles nur als Zusammengewachsenes
(αύνολον)v
on Stoff und Form zum Gegenstande. Das heißt, im Be-
griff wird nicht die Idee an sich
(τό τι ήν είναι,
das was war), nicht
die „Form ohne Stoff“
(είδος άνεν ύλγς),
nicht das rein begriffliche
Wesen
(ή κατά λόγον ούτία)
erkannt; sondern nur die Form in Ver-
bindung mit dem Stoffe — also nur zugleich individuelles Sein er-
kannt! Woher aber dann das Allgemeine? — Das erklärt Aristoteles
unseres Erachtens nicht! Aber das Allgemeine soll nach Aristoteles
dennoch das begrifflich Frühere
(πρότερον,
das Apriori) sein; und
das Besondere soll das begrifflich Spätere
(ύστερον,
aposteriori) sein.
Ob dieser Satz bei Aristoteles noch folgerichtig ist? Hier liegt
zweifellos die g r ö ß t e S c h w i e r i g k e i t seines Systems:
Wenn nur das Einzelding das wesenhaft Wirkliche (Substanz) ist,
ist die Allgemeinheit überhaupt vernichtet; das Ganze könnte
dann auch folgerichtig nicht mehr vor dem Teile sein; Empirismus,
Nominalismus wäre die Folge; der Formbegriff aufgehoben!
Nimmt man aber, wie das Aristoteles zugleich tut, das Allge-
meine dennoch als das begrifflich Frühere an, dann folgt allerdings,
daß der Unterschied zwischen Aristoteles und Platon nicht mehr
grundsätzlich sei. Denn die Erkenntnis als Ideenschau, welche die
Grundlage von Platons Erkenntnistheorie ist, wäre ja nunmehr
doch auch bei Aristoteles möglich. Denn überall, wo das Allge-
meine den Vorrang hat, kann es auch als solches gefaßt werden. Ja,
die Unmittelbarkeitslehre der Erkenntnis durch den Geist (Nus),
die Aristoteles vertritt, erhielte dadurch erst ihre platonische Unter-
lage.
Was man seit Kant das A p r i o r i des Erkennens nennt, be-
stimmt Aristoteles zunächst formal, nämlich von Platons S a t z e
d e s W i d e r s p r u c h e s aus. „Daß dasselbe demselben nicht
zugleich und in derselben Hinsicht... zukommen kann“, ist ihm