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bei sich selbst, wie er auch der Welt durch seine Schöpfertätigkeit
unaufhörlich einwohnt.
Allerdings muß auch gerade in diesem Punkte die Prüfung ein-
setzen. Denn der als in sich ruhend die Welt bewegende Gott soll
nach Aristoteles diese Welt (die Materie) schon als ein Anderes
n e b e n sich haben, sofern sie nämlich ewig sein soll. Das wäre ein
Widerspruch. Denn wenn die Materie ewig ist, kann das Tätige
(Gott, die reine Wirklichkeit) nicht v o r h e r da sein, was doch
der Aristotelische Satz / „das Wirkliche ist vor dem Möglichen“ ge-
rade in der Zeitfolge — genetisch — verlangt.
Indem wir hier eine Abweichung der Aristotelischen von der Pla-
tonischen Gotteslehre, welche die Welt durch die Tätigkeit des De-
miurgen in der Zeit werden läßt, feststellen, berühren wir zugleich
die größte Denkaufgabe, die durch alle idealistischen Philosophien
hindurchgeht: das Endliche aus dem Unendlichen, das Veränderliche
aus dem Unveränderlichen, die Welt aus Gott abzuleiten.
2 . Die ü b r i g e n L e h r b e g r i f f e . Daß die Aristoteli-
sche Lehre trotz ihres Tadels der Platonischen I d e e n l e h r e als
eine Portbildung derselben gedacht ist, trat wiederholt hervor.
Demgemäß sind die wichtigsten Lehrbegriffe des Aristoteles als
Umbildungen Platonischer Lehren aufzufassen. So: das Einzelding
als Usia (Wesenheit, Substanz) statt des Allgemeinen; die Einwoh-
nung der Idee (Form) statt der Jenseitigkeit; die „Bewegung“ statt
der Mischung
μίξις
des „Philebos“; die Form als „Zweck“ zur Be-
gründung des teleologischen Verfahrens; die einheitliche Benennung
der Materie als „Hyle“ (Platon gebrauchte noch keinen einheitlichen
Namen). Eine eigene gewaltige Schöpfung des Aristoteles ist hinge-
gen die Syllogistik.
Diese Portbildungen erwiesen sich uns aber nicht immer als Port-
schritte. Ja, die beiden metaphysischen Hauptgedanken des Aristo-
teles: das E i n z e l d i n g a l s U s i a u n d d i e r e i n e
E i n w o h n u n g d e r F o r m s i n d n i c h t z u E n d e
d e n k b a r e B e g r i f f e . Denn (a) gibt es nach Aristoteles nur
Einzeldinge, so gibt es kein Allgemeines — Nominalismus; (b)
dieser aber, zu Ende gedacht, bedarf keiner Idee oder Form; (c)
soll es aber doch ein Allgemeines geben, wie Aristoteles will, so
muß das eine Allgemeine, also die eine Idee oder Form, viele Einzel-
dinge bestimmen — der Platonismus; (d) diese überindividuelle
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