264
[236]
und damit als bloße Schranke auffaßte, an der sich das Ich zu ent-
falten habe. Mit dieser sittlichen Aufgabe der Natur war allerdings
eine Teleologie in die Naturlehre eingeführt. Aber die Natur war
bei Fichte noch nicht selbst etwas Lebendiges, sie war nur das Mittel
zur Entfaltung des Ich.
Andrerseits erschien Fichtes Idealismus, insoferne als er in der
subjektiven Selbstsetzung des Ich befangen war, doch noch als sub-
jektiver. Die Aufgabe war, den Gegenstand zurückzuerobern, ohne
ihn darum als ein fremdes Anderes, ein unzugängliches „Ding an
sich“, zu nehmen, wie Schelling sagte, den „D u r c h b r u c h i n
d a s f r e i e F e l d o b j e k t i v e r W i s s e n s c h a f t “ zu
vollziehen, mit einem Worte, den „subjektiven“ Idealismus in einen
ontologischen umzubilden.
Der Grundgedanke Schellings nun, der zu diesem Ziele führte,
lautet: Dasselbe Ansich — heiße es das Absolute, Geist, Vernunft
schlechthin, Urgeist oder Weltgeist — das den Setzungen des Ich
zugrunde liegt, setzt sich auch in der Natur. Die Natur ist Geist,
aber ein solcher Geist, der auf der Stufe der unorganischen und
organischen Materie stehen blieb. „Den Beschauenden überfällt mit
plötzlicher Klarheit die Erinnerung von der ursprünglichen Einheit
des Wesens der Natur mit dem Wesen der Seele.“
1
„Die beiden
Sätze ,Ich bin' und ,Dinge sind außer mir' sind identisch.“
2
Da-
durch wird die Ich-Philosophie oder „Transzendentalphilosophie“
Fichtes nicht verneint, aber ergänzt. Es wird ihr eine „Naturphilo-
sophie“ an die Seite gestellt. Die Natur ist nunmehr nicht nur die
selbstgesetzte Schranke des Ich, sondern auch selbst etwas.
Auch vom rein erkenntnistheoretischen Standpunkte aus können
wir uns diese Wendung zum Ontologischen klarmachen. Wenn sich
aus der Lehre Kantens (durch das „Ding an sich“) die Frage ergab:
Wie erkennt man die Natur? (das heißt die Gegenstände); und aus
der Lehre Fichtes (durch den „Anstoß“): Wie erzeugt das Ich die
Natur? so stellt Schelling die Frage von der Natur aus: W i e
k o m m t d i e N a t u r d a z u , e r k a n n t z u w e r d e n ?
1
Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling: Uber das Verhältnis der bildenden
Künste zur Natur (1807), Sämtliche Werke, Abt. 1, Bd 7, Stuttgart 1860, S. 315.
2
Schelling: Das System des transzendentalen Idealismus (1800), Sämtliche
Werke, Abt. 1, Bd 3, Stuttgart 1836, S. 341.