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Den erkenntnistheoretischen Gehalt seiner Naturphilosophie spricht später

rückblickend Schelling selbst deutlich aus. In den „Vorlesungen über den philoso-

phischen Empirismus“, zuletzt gehalten in München 1836, sagt er: „Die Genesis der

ganzen Natur“ (ich bemerke, daß dieses Ausgehen von der N a t u r anstatt, wie

K a n t , von dem erkennenden S u b j e k t auszugehen, daß diese der Natur ge-

gebene Priorität auf jeden Fall schon dadurch gerechtfertigt ist, daß das erken-

nende Subjekt das erkennbare Objekt notwendig zu seiner Voraussetzung hat),

die Genesis der ganzen Natur beruht einzig auf einem Übergewicht, welches fort-

schreitenderweise dem Subjekte über das Objekt bis zu dem Punkte gegeben

wird, wo das Objekt ganz zum Subjekt geworden ist, im m e n s c h l i c h e n

Bewußtsein. Was a u ß e r dem Bewußtsein gesetzt ist, ist dem Wesen nach eben

dasselbe, was auch im Bewußtsein gesetzt ist ... nicht / daß in dem letzten Punkt

[im menschlichen Subjekt] das Objekt völlig vertilgt... wäre, denn vielmehr

liegt es auch dem nun in Subjektivität Verwandelten noch immer zugrunde, son-

dern nur daß das Objektive relativ gegen das Subjektive in die Verborgenheit

zurückgetreten, gleichsam latent geworden ist, wie in einem durchsichtigen Kör-

per darum... die finstere Materie nicht verschwunden, sondern nur in Klarheit

verwandelt ist.“

1

Wie die Natur nicht schlechthin objektiv, sondern stets „schon

vom Subjektiven angegriffen“, so ist auch der Geist, das Subjekt, nicht schlechthin

subjektiv, sondern hat das Objektive beständig in sich und setzt es daher voraus

2

.

Es ist ersichtlich, daß diese Sätze durchaus auf der Lehre der inneren I d e n -

t i t ä t

3

von Natur und Geist beruhen. Die Identitätslehre Schellings ist daher

weniger die Folgerung aus seiner Naturphilosophie als vielmehr ihre unbewußte

Voraussetzung gewesen. Sie ist auch die notwendige Voraussetzung seiner Er-

kenntnistheorie.

Damit ist auch das ontologische Gepräge der Erkenntnislehre Schellings be-

stimmt. Denn ihr ist sowohl das Erkennen selbst ein Sein, das in sich Gegen-

ständlichkeit hat, wie auch das gegenständliche Sein gerade nur dadurch ist, daß es

etwas von der Wesenheit des Erkennens, eben vom Geiste, in sich hat.

γ. Sitten- und Gesellschaftslehre

Die

S i t t e n -

u n d

G e s e l l s c h a f t s l e h r e

pflegte

Schelling nie besonders. Im „System des transzendentalen Idealis-

mus“ ist der Übergang von der theoretischen zur praktischen Phi-

losophie dadurch gegeben, daß zu jener „absoluten Willenstat“,

durch welche das Ich sich zur „absoluten Abstraktion“ erhebt, das

Ich d u r c h e i n a n d e r e s I c h „ b e s t i m m t “ werde.

Damit haben wir Fichtes Begriff der „Aufforderung“ (Erziehung)

wieder und überhaupt Fichtes Gemeinschaftsbegriff. Aber Schelling

fügt richtig hinzu, daß durch diese „Bestimmung“ oder Begrenzung

des Ich zugleich die Individualität des Menschen bedingt sei. — Hie-

durch sehen wir zwar das Über-Dir schon erobert, aber ähnlich wie

1

Schelling: Sämtliche Werke, Abt. 1, Bd 10, Stuttgart 1861, S. 229.

2

Schelling: Sämtliche Werke, Abt. 1, Bd 10, Stuttgart 1861, S. 230.

3

Siehe oben S. 264.