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der Wirtschaft sowohl wie der Wertbildung. Auf diesem Wege

gelangt Ricardo wie Smith durch die Preisgesetze unmittelbar zu

sogenannten Entwicklungs- oder Bewegungsgesetzen und damit

wieder zu einer ursächlichen, naturgesetzlichen, mechanischen Er-

klärung jener Mißstände, welche die kapitalistische Entwicklung

zeitigte: der Arbeitslohn muß sich immer an der untern Grenze

halten, der Profit muß im Laufe der Zeit immer kleiner werden,

die Grundrente dagegen immer steigen.

Jeder einzelne dieser Sätze ist jedoch fehlerhaft, wie die Prüfung

zeigte. Aber wenn auch Ricardos Wertlehre unhaltbar ist, und wenn

auch der Satz, auf dem sein Verteilungsgesetz beruht, daß die

Summe von Lohn und Profit eine konstante Größe sei, nicht richtig

ist, weil mit dem Lohn auch der Profit steigen kann, falls die Frucht-

barkeit der Arbeit steigt — wenn also auch von Ricardos Lehre kein

Stein auf dem andern bleibt, so liegt ihre geschichtliche Bedeutung

doch darin, daß sie zum erstenmal ein aus festen Begriffen bestehen-

des, in sich folgerichtiges Gebäude des Individualismus darstellte,

das für hundert Jahre maßgebend war und, sofern der Individualis-

mus auch heute herrscht, noch immer maßgebend ist.

Ricardo hat durch sein falsches Lohngesetz und den falschen

Begriff des Profites als Restgröße den theoretischen Grund gelegt

zu der p e s s i m i s t i s c h e n Beurteilung der neueren Entwicklung

sowie des Gegensatzes zwischen Kapital und Arbeit; er hat ferner

durch das angebliche Gesetz vom Steigen der Grund- und vom

Sinken der Kapitalrente einen falschen Gegensatz der Belange von

beweglichem Kapital- und festem Grundbesitz geschaffen. D a m i t

w a r a u c h s c h o n d e r K e i m a l l e r L e h r e n v o n K a r l

M a r x i n i h m a n g e l e g t .

In seinen Lehrstücken der Verteilung und Entwicklung wurde von

Ricardo auch zum ersten Male die M a l t h u s i s c h e B e v ö l k e -

r u n g s l e h r e ver- / wertet. Die Bevölkerungsvermehrung erscheint

bei ihm als eine wirtschaftliche Grundkraft, welche die Gültigkeit des

ehernen Lohngesetzes einerseits, die Steigerung der Grundrente ander-

seits verbürgt. Damit bringt die Ricardische Lehre gleichzeitig einen

anderen Gesichtspunkt in die Wirtschaftswissenschaft: den der Bewegung

der Volkswirtschaft, der Entwicklung. Die Volkswirtschaft erleidet infolge

der fortgesetzten Wirksamkeit der Preisgesetze eine eigengesetzliche,

und zwar automatische, mechanische, naturgesetzliche Entwicklung —

die materialistische Geschichtsauffassung von Marx und die „Laplacische

Weltformel“ beruhen auf demselben Erkenntnisideal!

Die Smith-Ricardische V e r t e i l u n g s l e h r e a l s G a n z e s g e -