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Schelling durch die „Potenzen“ eine neue Lösung
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), und niemand,
der ihn versteht, wird ihm Bewunderung versagen können.
Die Frage aber, die sich hier erhebt, ist, ob der Geist seinem /
Wesen nach in bloßes leeres „Sein“ Umschlagen könne?; ob dann
von diesem „Sein“ eine Entwicklung von u n t e n h i n a u f
stattfinden könne, wie sie Schelling und Hegel zu zeichnen versu-
chen? Freilich ist hier nicht an zeitliche, nur an logische Abfolgen
zu denken. Dennoch halte ich das für einen Irrtum, der aus der
Dialektik (A setzt angeblich Non-A, auf + A folge —A) folgt
und fälschlich zu einer Seinsvorstellung nach materieller Art („Quan-
tität“, „Qualität“ etc.) verleitet. In Wahrheit kann der Geist nur
von o b e n h i n u n t e r sich ausgliedern, was freilich schwerer
zu zeigen und gar zu deduzieren ist.
Von diesem grundsätzlichen Einwande abgesehen, fragt es sich nun, wie Hegeln
die A u s f ü h r u n g i m e i n z e l n e n gelang? Er will die dialektischen Set-
zungen des Absoluten nach K a t e g o r i e n
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ableitend entwickeln.
Über Kant geht Hegel in der Kategorienlehre dadurch hinaus, daß seine Kate-
gorien nicht nur formale, sondern zugleich inhaltliche Bestimmungen sind (wie
bei Fichte). Aber die Ableitung der Kategorien im einzelnen kann nicht als gelun-
gen betrachtet werden. Man darf sie auch so genau nicht nehmen. Denn nicht nur
sind in der „Enzyklopädie“ manche Abweichungen gegenüber der „Logik“ zu
finden; Hegel sagt auch selber im Vorwort zur zweiten Ausgabe der „Logik“, kurz
vor seinem Tode: Wenn der Erzählung nach Platon seinen „Staat“ siebenmal um-
gearbeitet habe, so wünsche er, es wäre ihm Muße gewährt, sie siebenundsiebzig-
mal umzuarbeiten
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.
Auffällig ist, daß in der rein logischen Kategorientafel (also vor dem Überge-
hen des absoluten Geistes in Natur und Geist) schon Naturkategorien, z. B. Che-
mismus, und Geisteskategorien, z. B. subjektiver Begriff, erscheinen. Die Mei-
nung Hegels ist allerdings, daß es sich hier weder um die Gestaltungen des theore-
tischen Denkens im psychologischen Sinne handle, noch um die Wirklichkeit der
stofflichen Natur, sondern nur um die objektive Form des absoluten, göttlichen
Denkens. Haltbar ist das unseres Erachtens dennoch nicht. Denn es beseitigt nicht
den Widerspruch, daß die objektiven Gestaltungen der theoretischen Intelligenz
schon in s u b j e k t i v e r F o r m erscheinen und die vornatürlichen Wesenhei-
ten des Seins schon in formaler N a t u r b e s t i m m t h e i t erscheinen, z. B.
als Chemismus.
Ein grundsätzlicher Mangel liegt überhaupt in den Gewaltsamkeiten des dia-
lektischen Verfahrens, das in Wahrheit nur eine eintönige, die Fülle der Wirklich-
keit verarmende Ableitung zu leisten vermag.
Mit solchen Einwänden soll aber dem Entwurfe keineswegs Größe abgespro-
1
Siehe oben S. 272 f.
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Siehe oben S. 283.
3
Hegel: Wissenschaft der Logik, Sämtliche Werke, Bd 3, Berlin 1833, S. 35.
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