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kontradiktorische solche sind); dann müssen sich auch (c) alle d i a l e k t i -

s c h e n R e i h e n Hegels als mangelhaft erweisen: „Ansichsein — Fürsichsein —

Anundfürsichsein“; Sein, Wesen, Begriff; Empfindung, Bewußtsein, Selbstbe-

wußtsein; logische Idee, Natur (Anderssein der Idee), Geist (Beisichselbstsein der

Idee) — diese und viele andere Reihen sind keineswegs stichhaltig. Wenn das

„Anundfürsichseiende“ (nach der universalistischen Lehre: die „Ganzheit“) das

Höchste ist, so muß es auch logisch das Erste sein. Wenn es logisch das Erste ist,

so kann es sich nur in Glieder a u s g l i e d e r n , und zwar in miteinander aus-

gegliederte (gezweiungsmäßig einander das Sein gebende). Sind die Setzungen

Glieder, dann sind sie aber durch ihre Ganzheit aufeinanderbezogen, sie sind also

b e g r i f f s m ä ß i g n i e m a l s r e i n „ a n s i c h “ u n d a u c h n i e m a l s

r e i n „ f ü r s i c h “ ! Sinngemäß gilt das auch für alle ähnlichen dialektischen Rei-

hen, besonders auch für jene der Gesellschaft.

Bei allen diesen Mängeln hat die Dialektik doch auch wahre Größe. Den größ-

ten Vorzug des dialektischen Verfahrens erblicken wir darin, daß es ein lebendi-

geres Bild der in Umgliederung begriffenen Wirklichkeit malt, als diejenigen Ver-

fahren, welche das Gegebene schlechthin als Gegebenes hinnehmen, also: sowohl

als das Verfahren des Empirismus wie das starre geometrische Verfahren S p i -

n o z a s . Denn in der stets unvollkommenen Wirklichkeit der Geschichte besteht

tatsächlich eine verhältnismäßige Notwendigkeit des Widerstreites, das heißt, die

G e g e n s ä t z e w e r d e n z u L e b e n s i m p u l s e n für die Entwicklung

der Wirklichkeit. So überall wo Krankheit durch Gift, Verfall durch Gegenver-

fall bekämpft werden muß. Aber sie sind es nicht dem reinen Wesen der Sache

nach; sie sind es auch nicht als kontradiktorische Gegensätze, wie sich soeben

zeigte

1

.

2.

An dem gleichen Fehler wie die Dialektik Hegels leidet seine K a t e g o - /

r i e n l e h r e : daß sie nämlich vom leeren „Sein“ zum „Begriffe“, das heißt von

der Bestimmungslosigkeit zu den Bestimmungen des Seins kommt; und von diesen

als einem bloßen Nebeneinander — so wird Qualität und Quantität ja behandelt —,

einem „Ansich“, schließlich zum „Begriff“, zur Einheit des Verschiedenen, zu einem

„Bei-sich-selbst-Sein“ oder An- und Fürsichsein kommt. Wie soll das aber mög-

lich sein? Diese Fortschreitungen kann Hegel als wesensnotwendig nicht zeigen.

Denn vom Leeren kann man nicht zum Vollen, vom Getrennten nicht zur Einheit,

von den Setzungen nicht zur Synthesis kommen. Diese ist ihm daher stets eine

nachträgliche Verknüpfung zur Einheit, und die gibt es nicht. Die Einheit muß

voranstehen, und aus der Einheit — der G a n z h e i t — erst können sich die

Unterschiede setzen. Demnach müssen unseres Erachtens die Urkategorien: (a)

A u s g l i e d e r u n g u n d ( b ) R ü c k v e r b u n d e n h e i t (Befaßtbleiben) an

die Stelle von Sein, Wesen, Begriff, treten. Hier haben auch Vollkommenheit und

Unvollkommenheit, ohne die keine Kategorienlehre möglich ist, Raum.

Überflüssig ist es zu bemerken, daß von Hegel trotzdem (meistens nicht m i t -

t e l s t der dialektischen Ableitung) wahrhaft geniale Blicke in das Gefüge der

Welt getan wurden. Eine bemerkenswerte Einzelheit, welche den großen Fort-

schritt gegenüber der Kant-Fichteschen Kategorientafel erkennen läßt, ist, daß

Hegel die Qualität der Quantität voranstellt. Das ist richtig, denn jede Quantität

setzt schon eine Bestimmtheit des Seins voraus und diese Bestimmtheit ist eben

1

Vgl. meine Bücher: Geschichtsphilosophie, Jena 1932, S. 138 ff. (= Ergän-

zungsbände zur Sammlung Herdflamme, Bd 2); Kämpfende Wissenschaft, Jena

1934, S. 208 ff.