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„Qualität“. Aber auch diese „Bestimmtheit“ setzt unseres Erachtens eine Weise des
Bestimmtwerdens voraus — nämlich die G l i e d h a f t i g k e i t des Bestimmt-
seins, also die Gliedhaftigkeit der „Qualität“; diese wieder die Ganzheit.
Unbemerkt blieb sonderbarerweise, daß H e g e l d i e F i c h t e s c h e n
U r k a t e g o r i e n „ R e a l i t ä t , N e g a t i o n , L i m i t a t i o n “ b e i b e -
h i e l t ; aber allerdings als „Sein, Wesen, Begriff“ tiefer bestimmte
1
. Die Ka-
tegorie „Realität“ oder Setzung unterteilt sich sodann: bei F i c h t e als Ich und
Nichtich (Setzung und Gegensetzung); bei S c h e l l i n g als Subjekt und Ob-
jekt (was dasselbe wie bei Fichte bedeutet, nur daß die Identität des Subjekts und
Objekts in deutlicherer Fassung als bei Fichte hinzugefügt wurde); bei H e g e l
dagegen als Sein und Nichts (sofern der Gegensatz zur Realität Fichtes, die „Ne-
gation“, zugleich [relatives] Nichts genannt werden kann).
Diese Übersicht zeigt, daß die kategorialen Verschiedenheiten der drei Philo-
sophen zunächst nur in kleinen, wenn auch wichtigen Wendungen bestehen!
Zugleich handelt es sich bei allen dreien dabei um nichts anderes als die tiefste
W e s e n s b e s t i m m u n g d e s G e i s t e s : die Selbstoffenbarung oder Selbst-
vermittlung des Geistes, sein inneres Leben! Man kann sagen, seit Fichte sei diese
Frage der Mittelpunkt aller echt spekulativen Philosophie geblieben.
Im Geistesbegriff der Ganzheitslehre, wie sie dem Verfasser vorschwebt, geht
voran das Aneinander-Werden der persönlichen Geister in der Gemeinschaft oder
G e z w e i u n g (Subjekt:Subjekt-Verhältnis); darauf erst folgt die Trennung
von Ich und N i c h t i c h , das heißt von Subjekt und Objekt im Wissen
(Subjekt:Objekt-Verhältnis),
welches
also
ausgliedernde
Selbstvergegenständli-
chung ist: über dieser und aller folgenden Ausgliederung steht die R ü c k - /
V e r b u n d e n h e i t , welche auch die von Schelling angestrebte Kategorie der
„Identität“ ersetzt.
Ein anderer Fortschritt der Tafel Hegels liegt darin, daß er alle Urkategorien
dialektisch unterteilte (und so gliederte), während Fichte den ersten nur neue
anreihte.
3.
In der G e s e l l s c h a f t s l e h r e ist das Große, der Vorrang des Ganzen
2
.
Indessen, der Hauptmangel Hegels liegt doch darin, daß er dialektisch vom Ein-
zelnen ausgeht; allerdings keineswegs in individualistischer Absicht, da ja jede
einzelne Setzung Teil (Glied) der dialektischen Synthesis ist. Dennoch ist es bei
ihm der Einzelne mit seinem „formellen Rechte“, der Einzelne mit seinen „Trie-
ben“, der sich erst n a c h t r ä g l i c h zum Denken erhebt, von welchem Rechts-
philosophie und Moralitätsphilosophie ausgehen (während die „Sittlichkeit“ viel
besser, nämlich mit der „Familie“ beginnt). Richtig müßte die Untersuchung beim
höchsten Ganzen beginnen, also mit dem, was für Hegel der Staat (für uns die Ge-
meinschaft) ist. — Der richtige Ausgangspunkt, nämlich das Gesamtganze des gei-
stigen Menschheitslebens; und der richtige Gang der Untersuchung, nämlich
von oben hinunter statt von unten hinauf, verbieten unseres Erachtens auch, daß
die höchsten Inhalte des Geisteslebens, Kunst, Religion, Wissenschaft, als „abso-
luter Geist“ vom Sittlich-Organisatorischen, dem „objektiven Geist“ grundsätzlich
abgetrennt werden. Die ganzheitliche Zergliederung kann hier nur V o r r ä n g e
des Gleichzeitigen (nicht aufeinander folgende Setzungen) finden. Vorränge, die
innerhalb ein und derselben Ausgliederungsordnung bleiben: das Geistursprüng-
1
Siehe oben S. 286.
2
Siehe oben S. 288.