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und reiner Subjektivismus. Wir haben damit einen s k e p t i s c h -
s u b j e k t i v i s t i s c h e n A u s g a n g s p u n k t , der teils zum
Empirismus hinlenkt, teils ihm doch auch widerspricht (insoferne er
nämlich die Sinneswahrnehmung auch bezweifelt), teils endlich
trotzdem das Metaphysische anerkennt. — Dieser Zweifel ist zu-
gleich der Wille, mit allem, was vorher philosophiert wurde, zu bre-
chen. Hätte Descartes Wort gehalten, wäre er von seinem Aus-
gangspunkte richtig fortgegangen, dann wäre ihm unseres Erach-
tens nichts geblieben als das kindlichste Vonvorneanfangen, die
schwarze Leere. Das war denn auch nicht durchführbar. Descartes
griff trotz alledem auf die Schätze der früheren Philosophie unbe-
kümmert zurück. Soviel erreichte er indessen: der Wille zum Sich-
losreißen von aller Überlieferung wurde zum Vorbilde für Spätere,
die G e s c h i c h t s l o s i g k e i t , das Nichtanknüpfenwollen an
Früheres wurde zum Grundsatz gemacht. Geistesgeschichtlich hat
das ungeheuer nachgewirkt. Noch heute leidet die Geisteswissen-
schaft an diesem, mit allem Subjektivismus, Skeptizismus, Rationa-
lismus, Empirismus unheilvoll verbundenen Grundsatz.
Der nächste Schritt Descartes’ war noch folgerichtig. Womit fange
ich selbst an, wenn ich alles verneint und bezweifelt habe? Mit
nichts anderem als daß i c h überhaupt sei, mit nichts anderem als
mit meinem eigenen Sinn, allein mit mir selbst! Und dieses Sein
folgt, so sagt er, / aus meinem Denken. — Damit ergibt sich:
(1) abermals der S u b j e k t i v i s m u s , der Anfang mit dem Ich;
und (2) der R a t i o n a l i s m u s , der Anfang mit dem Denken.
Sowohl der rationalistische wie der skeptisch-subjektivistische An-
fang ist in sich geschichtslos. Es liegt darin eine Ablösung des Ein-
zelnen von der G e m e i n s c h a f t u n d d e r G e s c h i c h t e ,
also Vorbereitung des späteren gesellschaftlichen I n d i v i d u a -
l i s m u s .
Ehe wir weitergehen, fragen wir nach der Richtigkeit des Bishe-
rigen. Da zeigt sich nun: erstens der Beginn mit dem eigenen Ich
als mit einem reinen, abgelösten Subjekte ist unrichtig. Denn in
Wirklichkeit steht der Einzelne nicht abgelöst, sondern in der Ge-
meinschaft, das heißt vor dem Einzelnen noch steht die Gezweiung
1
.
Zweitens ist es verkehrt, den Zweifel durch einen S c h l u ß („also
1
Siehe oben S. 191.