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begriffen Descartes’ abgeben, hätte er nicht geistesgeschichtlich eine
so große Rolle gespielt. Und das konnte er nur, weil sein Beginn mit
dem Z w e i f e l damals eine Loslösung der Philosophie von der
philosophischen Theologie einleitete und weil sein S u b j e k t i -
v i s m u s ein zerstörerisches Element war, das dem Z u g e d e r
Z e i t entgegenkam. Der geschichtliche Ernst dieses Systems sind
die empiristisch-subjektivistisch-rationalistischen Bestandteile. Die
Erkenntnistheorie wird zur Hauptsache (und entsprechend: das Ver-
hältnis von Denken und Sein, und zwar von der ontologischen Seite
her gesehen). Auch die skeptische Forderung der „Voraussetzungs-
losigkeit der Philosophie“ gehört hierher. Nun sagt man wohl, es
hätte einmal so kommen müssen, es sei notwendig gewesen, daß der
neue Geist einmal leere Tafel mache, sich von der Scholastik be-
freie und dergleichen mehr. Solche Gedanken verkennen aber das
Wesen aller Weisheit, das Wesen aller Geschichte überhaupt. Nie-
mals kann eine neue Weisheit mit völligem Bruche beginnen, ein
solcher ist ja auch gar nicht möglich, und Cartesius bewies es, in-
dem er in kindlicher Form alte Metaphysik übernahm; sondern
nur Vertiefung, Reinigung, Umbildung kann weiter führen. Dazu
gehört aber geistige Schöpferkraft, während bei einem Bruch mit
gar Wenigem viel auszurichten ist.
Der Vorzug des Systems, wodurch es in formaler Hinsicht so lange nachgewirkt
hat, ist ein klarer f o r m a l e r A n f a n g s b e g r i f f , der Zweifel, von dem
aus streng logische Ableitungen gefordert, wenn auch nicht durchgeführt werden.
Freilich schleicht sich auch hier ein grundsätzlicher Fehler ein. Denn der formale
Anfangsbegriff ist noch nicht dasselbe wie der systembestimmende Begriff.
Geschichtlich bildeten sich von Descartes aus zwei Richtungen, der
folgerichtigere E m p i r i s m u s u n d d e r R a t i o n a l i s m u s ,
der immer mehr das Metaphysische abstreifte. Namentlich hat der
neben dem Empirismus stehende rationalistische Gedanke des Des-
cartes, den man später auch so faßte, daß die Philosophie nur Ver-
nunftwissenschaft sein solle, ungeheuer nachgewirkt. Selbst Schel-
ling noch sagt in seiner Identitätsphilosophie: „Außer der Vernunft
ist nichts und in ihr ist alles“, obwohl allerdings diese „Vernunft“
als metaphysische Seins- / macht (Weltvernunft), also schon so ge-
faßt wurde, daß in ihr etwas Übervernünftiges, Irrationales mit in-
begriffen war, auch die Setzungen dieser Vernunft nicht nach Syllo-
gismen, sondern dialektisch erfolgten. Ähnlich ist bei dem Satze He-