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bin ich“) zu lösen, denn in der Voraussetzung (dem Zweifel) liegt ja
eben, daß auch der Schluß zu bezweifeln sei, auch die Denkgesetze
mit einzubeziehen seien! Drittens: noch verkehrter ist es, das S e i n
zu erschließen. Das Sein kann man nicht erschließen. Durch einen
bloßen Vernunftschluß wüßten wir nie und nimmer, was Sein sei,
ebenso wenig wie ein Blinder durch einen Vernunftschluß auf die
Empfindung der Farbe Rot gebracht werden könnte. In Wahrheit
steht hier eine unmittelbare innere Erfahrung, steht Eingebung am
Beginne, nicht das Denken. Daher ist es auch nicht richtig, wenn
man Descartes etwa entgegengehalten hat, man könne ebenso gut
sagen: Ich gehe spazieren, also bin ich — denn, um es zu wieder-
holen, das Sein kann man grundsätzlich nicht erschließen, auch
nicht aus einer anderen Prämisse: es ist in Wahrheit in der Prämisse
(Denken, Spazierengehen) schon mitgedacht!
Treffender ist schon Goethes und Schillers Entgegnung:
„Denk ich, so bin ich. Wohl! Doch wer wird immer auch denken!
Oft schon war ich und hab’ wirklich an gar nichts gedacht.“
Allerdings hat sich Descartes dagegen später gewehrt, daß der Satz „cogito
ergo sum“ ein Syllogismus sei, er konnte aber nicht zeigen, daß er ihn nicht als
solchen behandelt habe.
Auch der Satz „cogito quia sum“, der dem Descartes umkehrend entgegen-
gestellt wurde, ist nicht richtig. Dann wäre ja das Denken ein Naturvorgang,
wenn es aus einem Sein folgen müßte. Im Denken liegt vielmehr ein Freies, ein
Setzen und Schaffen (neben dem Empfänglichen und Geschaffenwerden, wie
Fichtes Setzungslehre erweist).
Im übrigen sei hier daran erinnert, daß der Gedanke des „Cogito“ von /
A u g u s t i n u s stammt. Bei diesem war er aber nur als ein schlichter Hinweis
zur Widerlegung der Skepsis, keineswegs zur Begründung eines Systems gedacht.
Er hatte auch die richtige Form, da er nicht durch einen Vernunftschluß zum Sein
kommen wollte, sondern außer auf das Denken auch auf das Sein hinwies. Bei
Augustinus heißt es nämlich gegen die Skepsis: „Wir existieren, wir wissen um
unser Sein, und wir lieben dieses Sein und Wissen. Und in diesen drei Stücken
beunruhigt uns keine Möglichkeit einer Täuschung durch den bloßen Schein der
Wahrheit.“
1
Es „ . . . steht mir durchaus fest, daß ich bin, daß ich das weiß und es
liebe. In diesen Stücken fürchte ich durchaus nicht die Einwendungen der Akade-
miker, die da entgegenhalten: Wie aber, wenn du dich täuschest? Wenn ich mich
nämlich täusche, dann bin ich...“ Ferner sagt Augustinus
2
: „Daß er lebt, sich
erinnert, einsieht, will, denkt und urteilt, wer kann daran ernstlich zweifeln? Denn
eben wenn er zweifelt, lebt e r . . . wenn er zweifelt, will er Gewißheit haben;
wenn er zweifelt, denkt e r . . .“
3
— Was bei Augustinus einen guten Sinn hatte,
wurde bei Descartes zu leerer Spiegelfechterei.
1
Augustinus: Uber den Gottesstaat, IX, 26.
2
Augustinus: Über die Dreifaltigkeit, X, 10.
3
Ähnlich: Über die wahre Religion, 72.
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