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konstruieren sei; sowie ein willensmäßiges, wonach das Absolute Urwille sei.

Das erstere System führte H e g e l aus, das zweite S c h o p e n h a u e r .

1.

Das widerspruchsvoll Vermischte der Lehre A r t h u r S c h o p e n -

h a u e r s (1788—1860), liegt schon im Ursprung seiner Lehre

1

. Sein Haupt-

gedanke, daß der Wille das Weltprinzip sei, ist schon in Schellings Freiheitslehre

(1809) ausgesprochen worden und war auch in gewissem Sinne in Fichtes Set-

zungslehre enthalten. Was bei Fichte und Schelling einen tiefen Sinn hatte, büßte

aber an Sinn ein, wenn es durch Schopenhauer in einen / anderen Begriffs-

zusammenhang, nämlich den Kantischen, gebracht wurde. Schopenhauer hielt es für

nötig, Fichte, Schelling und Hegel in den Kot zu zerren, statt ihre Urheberschaft

anzuerkennen. Dagegen hebt er selbst hervor, was er Kanten verdankt, nämlich:

den Gedanken des Apriori (er schränkt aber die Kategorien auf Raum, Zeit und

Ursächlichkeit ein); ferner den Gegensatz von Erscheinung und Ding an sich.

Das Ansich der Dinge soll nun der Wille sein. „Objektivierungsstufen“ des blin-

den Ur- oder Weltwillens (in Pflanzen, Tier usw.) sind nach Schopenhauer die

I d e e n im Platonischen Sinne — auch das ist in der Ausführung zum Teil wieder

eine Anleihe bei der Naturphilosophie Schellings.

Trotz dieser Mischungen wären die metaphysischen und, bei allem Krankhaften,

oft wahrhaft g e n i a l e n Z ü g e seiner Lehre hoch zu werten, wenn er nicht

noch naturalistische Bestandteile hinzubrächte. Der Urwille soll blind, also ein

U n p e r s ö n l i c h - A l l g e m e i n e s sein! Das ist aber Atheismus; das Den-

ken soll eine Gehirnfunktion sein, das ist Materialismus. Das Sinnlose des blinden

Willens begründet den Pessimismus.

Die Grundannahme Schopenhauers, der Mensch bestünde nur aus Wille und

Vorstellung, muß als f e h l e r h a f t bezeichnet werden. Einerseits liegt wohl,

wie Fichte lehrt, in allen inneren Regungen des Menschen Selbstsetzung, welche

Aktivität man „Wille“, „Urwille“ nennen kann; andererseits sind aber Einge-

bung, künstlerische Gestaltung, Gezweiungsbewußtsein und die auf das Gesamt-

ganze des Innenlebens sich gründende Gemütswelt nicht auf Vorstellung und

Wille (hier im engeren Sinne) zurückführbar! — Indem Schopenhauer das Ver-

hältnis unseres Denkens zu den vorgestellten Dingen als Hauptfrage behandelt,

bewegt er sich ferner in rationalistischer und subjektivistischer Richtung (wie

Cartesius); daher er denn auch in der Gesellschaftslehre schroffer I n d i v i -

d u a l i s t i s t u n d d i e V e r n e i n u n g d e s G e s c h i c h t s b e g r i f f e s

(gegen Hegel) mit einer Schärfe vertrat, die selbst in der Aufklärung ohne

Beispiel ist.

E d u a r d v o n H a r t m a n n s (

1906) pessimistische „Philosophie des

Unbewußten“

2

will zwischen Hegel, Schelling und Schopenhauer vermitteln.

2.

Innerlich tiefer als Schopenhauers Denken, aber noch weit zerrissener, ist

F r i e d r i c h N i e t z s c h e s Lehre (1844—1900). Auf Einheit macht sie selbst

keinen Anspruch. Ihr Großes ist die Auflehnung gegen das Platte, Seelenlose,

Äußerliche, Kapitalistische, Massenbestimmte seiner Zeit, welchem er mit Recht

die Hochschätzung der schöpferischen Persönlichkeit entgegenstellt; ihre Tragik

das Unvermögen, gerade den Naturalismus, ja Materialismus, auf dem doch diese

Zeit beruhte, zu überwinden. Nietzsche verfällt, wie Schopenhauer, immer wieder

1

Arthur Schopenhauer: Die Welt als Wille und Vorstellung, 1844, heraus-

gegeben von Julius Frauenstädt, 4. Aufl., Leipzig 1873; Parerga und Paralipo-

mena, 1862, herausgegeben von Julius Frauenstädt, 4. Aufl., Leipzig 1878.

2

Eduard von Hartmann: Philosophie des Unbewußten, Versuch einer Welt-

anschauung, Berlin 1869, 12. Aufl., Leipzig 1923.