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[281/282]

Auf die E x i s t e n t i a l p h i l o s o p h i e stießen wir schon früher als auf

einen schroffen Skeptizismus

1

. Sie geht von dem Dänen S ö r e n K i e r k e -

g a a r d (1813—1855) aus, einer pseudogenialen, zerrissenen Persönlichkeit, welche

(ursprünglich im Kampfe gegen Hegel) der abstrakten, begrifflichen Philosophie

eine „existentielle“ entgegenstellen will. „Es gibt etwas, was sich nicht denken

läßt, das Existieren.“ „Existentiell“ ist für Kierkegaard alles Konkrete, alles,

woran das Leben des Einzelnen als Ganzes beteiligt ist. „Abstraktion“, sagt Kierke-

gaard, „ist interesselos; das Existieren ist des Existierenden höchstes Interesse.“

„Existentiell“ ist zum Beispiel die Frage, ob und wen man heiraten soll. „Existenz“

bedeutet aber im höchsten Sinne nach Kierkegaard die Aufgabe, sich absolut zum

Absoluten zu verhalten — aber gerade das sei unmöglich. Das höchste Interesse

liegt Kierkegaard darin, „ein Christ zu werden“, für den Inhalt des Glaubens, der

absurd und paradox ist, alles leidenschaftlich aufs Spiel zu setzen, da er dem Logi-

schen, Vernunftgemäßen nicht mehr zugänglich ist. Das Logische (meint er fälsch-

lich) ist aber abstrakt, Existenzfragen gegenüber „neutral“.

Kierkegaards Lehre trägt unverkennbar krankhafte Züge und endet infolge der

Unmöglichkeit der Verwirklichung von „Existenz“ als Verzweiflung am eigenen

Selbste

2

. M a r t i n H e i d e g g e r

3

, K a r l J a s p e r s

4

wollen wie Kierke-

gaard einen völligen Bruch mit der überkommenen, „abstrakten“ Philosophie von

den Griechen an vollziehen, und führen, insoferne sie das Ringen Kierkegaards

um die Religion aufgeben, noch weiter in den N i h i l i s m u s .

/

Bei Kierkegaard glomm noch ein Funke des heiligen Feuers unter der Asche,

nun verlischt auch der letzte Rest — ein Anzeichen der Verzweiflung am Sinne

des Daseins, welche unsere ganze Zeit seit dem ersten Weltkriege ergriff. Skepti-

zismus und Verfallsphilosophie gab es öfters in der Geschichte der Philosophie,

aber schwerlich je in der Form solch unverhüllten philosophischen Sansculotten-

tums.

Die Bewegung griff auf Frankreich ( J e a n P a u l S a r t r e , der offen zum

Atheismus überging) und zum Teil sogar auf Amerika über.

Wenn nach all dem Unglück, das uns traf, unser Geschlecht keinen Glauben an

den Sinn des Lebens, keinen hochsinnigen Idealismus aufbringt, ist niemand zu

sehen, der die unendlichen Werte, auf denen unsere Kultur beruht, in die Zukunft

hinüberzuretten vermöchte.

Der „Existenzialismus“ ist das gründliche Gegenteil des griechischen und

deutschen Idealismus! Wenn man sonst nur um seine eigene Haut, vulgo „Exi-

stenz“, winselte, galt das für unrühmlich. Heute macht man daraus eine hochtra-

bende „Philosophie“.

Wo bleibt da jener, uns schon von unseren Vorvätern seit Meister Eckehart

und Wolfram überlieferte, bis in die Wurzeln echte Idealismus? Derjenige näm-

lich, dem sich die Idee nicht im Realen als einem ihm W e s e n s f r e m d e n

zu verwirklichen hat — was allerdings bare Unmöglichkeit wäre —, dem vielmehr

die reale Welt selbst ein Abglanz des Geistes, eine vermittelte, wenn auch wider-

spenstige S e l b s t e r s c h e i n u n g des Geistes ist, worin die Idee leibhafte

Gestaltung zu gewinnen und ihr Schicksal zu erfüllen hat.

1

Siehe oben S. 38.

2

Sören Kierkegaard: Gesammelte Werke, deutsch, Jena 1909 ff.

3

Martin Heidegger: Sein und Zeit, Halle 1927.

4

Karl Jaspers: Die geistige Situation der Zeit, 4. Aufl., Berlin, Leipzig 1932.