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ziehen. Der voll entfaltete Idealismus hebt weder das Apriori auf,
noch den Setzungsgedanken, sondern begreift sie in sich. Insoferne
sind diese Gegensätze in ihm alle geschlichtet. Das gilt von seiner
griechischen wie von seiner deutschen Fassung.
Innerhalb des entfalteten Idealismus heben sich zwei ebenfalls
schon gekennzeichnete Grundrichtungen voneinander ab, je nach-
dem nämlich die Ausbildung des Lehrgebäudes mehr auf das Be-
griffswerk oder auf die Erlebnisgrundlage eingestellt ist: die mehr
begriffliche, l o g i s c h - f o r m a l e Richtung und die mehr ein-
gebungsbestimmte, irrationale, s c h a u e n d e u n d r e l i g i ö s e
Richtung.
Die mehr begriffliche, formal-logische Richtung finden wir,
wenn wir nur die größten Vertreter herausheben, entwickelt durch
A r i s t o t e l e s , T h o m a s , H e g e l ; die mehr innerliche, re-
ligiöse, durch P l a t o n , B o n a v e n t u r a , A l b e r t d e n G r o -
ß e n , S c h e l l i n g u n d B a a d e r . Ähnlich ist K a n t der
mehr rationalistische Geist im Vergleich zu dem mystisch-religiösen
F i c h t e , wie er schon in „Die Bestimmung des Menschen“ her-
vortrat. — Bei Aristoteles, Thomas, Kant verbindet sich mit der
Richtung auf die streng begriffliche Ausarbeitung auch eine Rich-
tung auf die Erfahrung; bei Hegel infolge seines ableitend-entwer-
fenden Verfahrens hervorgetreten, dafür aber die Richtung auf die
Geschichte.
Da es sich bei dem Gegensatze des Begrifflichen und Empirischen
gegen das Schauende und Irrationale keineswegs um Grundsätzli-
ches, sondern nur um Arbeitsrichtungen handelt, so ergibt sich von
selbst, daß diese Unterschiede die Einheit des Idealismus nicht
sprengen.
Außer den Verschiedenheiten in der Arbeitsrichtung treten noch
jene in den t r a g e n d e n L e h r b e g r i f f e n hervor. In der
Gotteslehre, Seins- / lehre, Geisteslehre und Naturphilosophie sind
aber die Gegensätze im Vergleich zur Übereinstimmung meist so
gering, daß wir sie besser erst später, im Zusammenhange mit den
Übereinstimmungen bemerklich machen
1
. Nur aus der Vermitt-
lungslehre sei der Hauptstreitpunkt schon hier hervorgehoben, der
nämlich darin besteht, daß Platon eine vorwiegende Jenseitigkeit
der Ideen, Aristoteles eine reine Einwohnung derselben behauptete.
1
Siehe unten S. 325 ff.