Table of Contents Table of Contents
Previous Page  6004 / 9133 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 6004 / 9133 Next Page
Page Background

320

[285/286]

Dieser Unterschied ist weittragend. Da er aber den Idealismus nicht

sprengt, sogar dasselbe Gebäude von Fragen und Denkaufgaben be-

stehen läßt, ist er keineswegs mehr als ein Bruderzwist. Die Schlich-

tung dieses Streites liegt meines Erachtens im Begriffe der R ü c k -

V e r b u n d e n h e i t , wie ich ihn in meiner Ganzheitslehre ent-

wickelte.

In g e s c h i c h t l i c h e r Hinsicht ist vor allem die Verschieden-

heit des griechischen und des deutschen Idealismus näher zu bestim-

men. Der Hauptunterschied besteht, vom Standpunkte des deutschen

Idealismus aus gesprochenen, in jenem Gegensatze, den man zu

Kants Zeiten als „Dogmatismus“ und „Idealismus“ bestimmte.

Dieser Unterschied ist ontologisch und erkenntnistheoretisch zu bestimmen.

O n t o l o g i s c h hat nämlich der platonische Idealismus das zur Grundlage, was

man mit einem Kantischen Ausdruck „Ding an sich“ nennt und wäre, weil er

Wahrheit der Erkenntnis und Wirklichkeit des Dinges angeblich ungeprüft hin-

nehme, das was Kant „Dogmatismus“ nannte. Der deutsche Idealismus hat dagegen

die dialektischen Setzungsschritte des Geistes zur Grundlage. Dem „Dogmatismus“,

so sagte man damals, war die Intelligenz eine Wirkung der Dinge; dem dialekti-

schen Idealismus waren die Dinge Setzungen des Ich und, nach Schelling und Hegel,

zugleich des Weltgeistes, des absoluten Ich.

Diese Entgegensetzung galt aber mehr dem Spinozismus, und der Wolffischen

Schule, sowie dem Empirismus und Materialismus. Gegen die Platonische Ideen-

lehre gilt sie aber nur insoferne, als man die Ideen als vorgegebene, ja angeborene,

dem in seiner eigenen Tätigkeit sich setzenden, gestaltenden und werdenden Geiste

gegenüberstellte. Läßt man diese Gegenüberstellung, die jedoch nur zum Teil rich-

tig ist, gelten, so muß man sagen:

1.

Daß der deutsche Idealismus in der Tat insoferne im Vorteile ist, als er den

Geist durchaus als Leben und Bewegung faßt;

2.

daß er aber insofern im Nachteile ist, als die von ihm erhoffte Möglichkeit,

in den dialektischen Gegensätzen diese Setzungsschritte wirklich deduktiv erfor-

schen zu können, sich als nicht erfüllbar erwies

1

.

3.

Indessen hat auch der platonische Idealismus Elemente, welche die Ideen

nicht als ein schlechthin Gegebenes, gleichsam Starres erscheinen lassen, denn

(a) auch für Platon ist die Seele das sich selbst Bewegende, auch er kennt also den

Begriff der Selbstsetzung

(

έαντόν κινούν

)

ebenso Ari- / stoteles (intellectus

agens); (b) auch die Ideen haben nach Platon Leben und Bewegung („Sophistes“),

ein Gedanke, der allerdings nicht durchgeführt wurde.

4.

Die Aristotelische Fortbildung der Platonischen Ideenlehre hatte immer wie-

der die Frage zum Mittelpunkte: woher die Bewegung? Die Bewegung im Geiste

wie in der Natur sollte durch die Einwohnung der sich entfaltenden Formen

erklärt werden. — Auch im alten Idealismus ist also die auf Erkenntnis der Selbst-

bewegung und Selbstentfaltung der Idee gehende Richtung vorhanden.

In e r k e n n t n i s t h e o r e t i s c h e r Hinsicht liegt ein be-

deutenderer Unterschied zwischen Platon und dem deutschen Idea-

1

Siehe oben S. 296 ff.