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als einwohnende Form (einwohnende
Idee); infolge der Einwohnung tritt das
Allgemeine stets nur mit seinen empi-
rischen Einzelheiten auf: als Substanz
zugleich mit Akzidenzien (nicht als
reine Form oder Idee an sich ohne Ma-
terie). Aber das Allgemeine ist das
Frühere. Das Besondere ist das Spätere.
Das Allgemeine wird vom Nus
(νούς)
unmittelbar erfaßt, da der Nus (die
Seele) gewissermaßen alle Formen ist;
so erkennt er (das ist die von Aristote-
les nicht ausgesprochene Folgerung)
zuletzt ebenfalls nur durch ein Insich-
gehen (Entsprechung zur Anamnesis-
lehre). — Die Entgegensetzung von
Subjekt und Objekt wird in der Lehre
vom Nus aufgehoben und tritt nur in
der Lehre vom mittelbaren Denken (der
Syllogystik und Methodenlehre her-
vor
1
).
Alles in allem genommen ist zu sagen, daß die idealistischen Er-
kenntnistheorien insgesamt darauf hinauslaufen, den Menschen seine
Erkenntnis aus seinem Innern herausholen zu lassen. Durch eine
Selbstsetzung schlechthin will es Fichte tun, durch eine „Wieder-
erinnerung“, also eine Art von Eingebung, die aber unter Beihilfe
der Sinneserfahrung stattfindet, Platon. Damit sind die Grundzüge
der idealistischen Erkenntnistheorie bezeichnet.
Diesen allgemeinen erkenntnistheoretischen Unterschieden ent-
sprechen auch die U n t e r s c h i e d e i n d e n K a t e g o r i e n -
des Denkens und des Seins begründet
in den dialektischen Setzungsschritten,
und zwar der Selbstsetzung des Ich
(welcher ein Absolutes zugrunde liegt),
wie auch in der Selbstsetzung des Welt-
geistes im Nicht-Ich. Durch ein Zurück-
gehen des Selbstbewußtseins in sich
selbst (Selbstanschauung) entsteht das
Erkennen und das Sein. — Subjekt und
Objekt werden nicht mehr grundsätz-
lich getrennt, sondern sind in ihrer tief-
sten Wurzel Eins (wie weit, hängt von
der Rolle der Materie und des Abfalls
ab)
2
. — Der Geist ist nicht naturlos,
sondern schon in sich selbst Subjekt-
Objekt.
/
1
Daß im übrigen die Erkenntnis-
lehre des Aristoteles unausgeglichen ist
und auch empiristische Elemente ent-
hält, wurde oben dargelegt (vgl. Seite
246 ff.).
2
Dabei besteht der weitere Unter-
schied, daß S c h e l l i n g in seiner
Identitätsphilosophie das Absolute als
Indifferenz faßt, das mit der intellek-
tuellen Anschauung erfaßt wird, also
mit einer unmittelbaren Erkenntnis be-
ginnt und erst von da zum Denken
fortschreitet; während H e g e l vom
Sein ausgeht (das allerdings nur die er-
ste Setzung des absoluten Geistes ist)
und von da durch eine Stufenfolge dia-
lektischer Zyklen zum Denken und den
absoluten Geistesinhalten (Religion,
Kunst, Philosophie) kommt. Auch bei
Fichte war die erste Setzung „Realität“
= Sein (siehe oben S. 126 f.).