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Jener Begriff, der uns diese Frage später völlig auflösen wird, ist
der des „Fünkleins“
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. — Unmöglich ist es dagegen, sich ein äußer-
liches, mechanisches Verhältnis Gottes zur Welt vorzustellen: „Was
wär ein Gott, der nur von außen stieße?“ sagt Goethe.
Was aus dem Innern des Schöpfers stammt, kann nie in die Ver-
fremdung der Äußerlichkeit hinausgestoßen werden. Es bleibt im
Schöpfer befaßt.
Eine andere Form des gleichen Einwandes wäre die „Konsubstantialität“, welche
fälschlich Geschöpf und Schöpfer vereinerleit. — Mit der persönlichen Art des
Schauungserlebnisses hängt endlich der falsche Einwand der S u b j e k t i v i t ä t
a l l e r M y s t i k zusammen. In Wahrheit ist alle Mystik übersubjektiv. Allen
diesen Gedanken werden wir später noch begegnen.
C. H a u p t p u n k t e d e r M y s t i k
Wir haben auf das Unmittelbare als die Grundlage aller Mystik
hingeführt und sind nun gerüstet, die Hauptlehrbegriffe der Mystik
kennenzulernen.
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Das unverjährbare Recht der Mystik besteht darin, daß das, wor-
auf sie sich beruft, jeder Mensch in der Tiefe seines Wesens besitzt.
Die mystische Lehre wird aber erst dort auftreten, wo es um das
höchste Ziel des Mystikers geht, darum, ein unmittelbares Verhält-
nis zu Gott zu gewinnen. Daher kann es auch als Kennzeichen des
Mystikers gelten, daß er eine allzu große Entfernung des Menschen
von Gott nicht kennt. Die innige Wesensverwandtschaft des Tief-
sten der menschlichen Seele mit Gott ist Grundlehre der Mystik
aller Zeiten.
Damit sind auch schon die Hauptpunkte aller Mystik bezeichnet.
Wir können sie, indem wir uns dabei mehr an die Fassung Meister
Eckeharts anlehnen, folgendermaßen näher bestimmen:
1.
Es ist etwas im Menschen, das Gott innig verwandt, ja we-
sensgleich ist, der Grund der Seele, der Geist, ihr Einfaches, ihr in-
neres Wesen, das „Fünklein“.
2.
Der Mensch kann durch Abgeschiedenheit und Versenkung
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Siehe unten S. 364 ff.